Ruf der Sehnsucht - Historical Special Bd 33
nichts weiter getan, als dem alten Burgherrn zu helfen. Jetzt aber war die Furcht, mit der man sie allseits betrachtete, förmlich mit Händen zu greifen.
„Du hast doch nicht etwa die Absicht, eine Hexe zu ehelichen?“, keuchte Justine. „Sie hat das Böse im Überfluss nach Pontesse gebracht. Nur ein Narr kann ihren schlechten Einfluss übersehen!“ Wieder eine Anklage, die Sophie bis ins Mark traf und sie nur allzu gut an das erinnerte, was Gaillard damals gesagt hatte: dass sie unwillkürlich allen, mit denen sie in Berührung kam, nur Unglück brächte. War sie denn wirklich mit einem Fluch geschlagen?
„Was redest du da für einen Unsinn?“, fauchte Hugues gereizt und nahm mit verschränkten Armen eine Haltung ein, die deutlich ausdrückte, dass er keinen Zoll von seiner Meinung abweichen würde.
Etwas in Sophie krampfte sich zusammen, als sie begriff, dass es, auch wenn sie seine Gemahlin wurde, nicht bei diesem einen Vorfall bleiben würde. Er würde, so ihre Befürchtung, wohl noch häufiger zu ihrer Verteidigung einschreiten müssen. Zur Verteidigung eines Weibes, das ihm zwar keine Söhne gebar, stattdessen aber Spott und Schande über die Familie brachte. Ja, in diesem Augenblick sah es so aus, als verlange sie zu viel von ihrem Herzliebsten.
„Papa ist tot!“ Mit fast ebenso hochrotem Kopf wie Hugues schrie Justine die Worte förmlich hinaus. „Darf man das etwa nicht böse nennen? Kaum hatte dies Weib einen Fuß auf unseren Grund gesetzt, wurde er krank und starb! Wie klar soll ein Zeichen denn noch sein?“
„Du warst es doch selbst, die uns am Burgtor empfing und uns mitteilte, Vater sei erkrankt“, wandte Hugues lapidar ein.
Seine Schwester warf trotzig das Haar zurück. „Und genau danach ging es ihm schlechter. Alle im Burgsaal haben doch das Gehuste nach diesem Wundertrunk gehört, oder nicht? Und hat er sich danach nicht auch gegen mich und meine Wünsche gestellt? Wieso nimmst du die Wahrheit nicht zur Kenntnis, wenn du sie direkt vor der Nase hast?“
„Genau dasselbe könnte ich dich fragen“, versetzte Hugues eisig. „Noch vor unserer Ankunft hattet ihr zwei einen Streit, denn das hast du mir selbst im Burghof gesagt.“ Sophie beobachtete die junge Frau aufmerksam und begriff mutlos, dass Justine sich der Logik ihres Bruders keineswegs geschlagen gab.
„Dann war ihr Kommen eben ein böses Omen, welches den Gang der Ereignisse beeinflusste“, giftete Justine.
Wie es seine Art war, quittierte Hugues das mit einem verächtlichen Schnauben. „Diesen Blödsinn glaubst du doch selbst nicht“, polterte er empört und ergriff dann bewusst Sophies Hand. Sie fragte sich, ob er wohl spürte, wie sie zitterte oder wie entsetzt sie war. Doch er umschmiegte ihre Finger einfach mit seiner Wärme und zog sie an sich. „Wir haben viel zu viel zu tun, um uns mit solch einem Unsinn zu befassen“, brummte er.
„Unsinn?“, wiederholte Justine, wobei sich ihre Stimme in hysterische Höhen schraubte. Inzwischen aber wandten Hugues und Sophie sich schon zum Gehen, Sophie mit raschen Schritten, wobei ihr peinlich bewusst wurde, dass sämtliche Anwesenden unten im Rittersaal die Auseinandersetzung aufmerksam verfolgten. Hugues drückte ihr aufmunternd die Hand. Sie aber brachte es nicht über sich, den Druck zu erwidern, denn sie war überzeugt, dass in den Blicken der anderen dieselbe Ablehnung stand wie in den Augen von Justine.
„Das nennst du also Unsinn? Dass dieses Weibsstück unseren Vater umgebracht hat?“,kreischte Justine aufgebracht.„Sie hat ihm einen Zaubertrank verabreicht …“ Plötzlich sank ihre Stimme zu einem Flüstern. „Und wer weiß schon, was da drinnen war? Das kannst du doch nicht abstreiten.“
Zögernd hielt Hugues auf der Treppe inne und drehte sich zu seiner Schwester um. „Von beiden Arzneien habe ich selbst getrunken“, betonte er eindringlich, wenn auch in sachlichem Ton, wodurch sich Sophie indes nicht täuschen ließ. Sie merkte, dass er mit seiner Geduld am Ende war, und jetzt bereute sie immer mehr, dass sie ihm diese zusätzliche Last aufgebürdet hatte.
„Du bist ja auch jung und kräftig“, wandte Justine hämisch ein. „Aber Papa stand schon mit einem Bein im Grab.“
Jetzt platzte Hugues endgültig der Kragen. „Genug!“, brach es aus ihm heraus. Mit blitzenden Augen ließ er den Zeigefinger vorzucken und wies auf seine Schwester. Bei diesem ungewöhnlichen Wutausbruch prallte Sophie erschrocken zurück. „Nutze bloß nicht
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