Ruf der Sehnsucht - Historical Special Bd 33
gereckt, folgte Sophie diesem verlockenden Wohlgeruch, hin zum Stand eines Bäckers, wo sie stehen blieb und gebannt zusah, wie der stolze Bäckermeister seine frisch gebackenen, halbmondförmigen Pasteten auslegte.
Warme Pasteten, gefüllt mit Fleisch und Zwiebeln.
Als sie bemerkte, wie der Bäcker sich abwandte, siegte der Hunger über ihre Vernunft, und ehe sie sich versah, hatte sie auch schon blitzschnell die am nächsten liegende Köstlichkeit an sich gerafft und war im Handumdrehen im Marktgewimmel untergetaucht.
Ein gellender Wutschrei zerriss die Luft, doch Sophie war bereits an der anderen Seite des Marktplatzes und stopfte sich im Laufen die leckere Speise in den Mund, wenngleich ihr aus Furcht, man könne sie fassen, das Herz bis zum Hals schlug. So bahnte sie sich einen Weg durch die Menge, und während hinter ihr Schritte polterten, schlängelte sie sich zwischen Karren und Ständen hindurch, vorbei an voll bepackten Eseln und mit Bündeln beladenen Frauen, die wütend zeterten, weil Sophie sie aus dem Gleichgewicht brachte.
Die Fleischpastete schmeckte himmlisch, verfeinert mit Kräutern und gedünsteten Zwiebeln. Hätte sie doch nur die Zeit gehabt, diese köstliche Speise mit Muße zu genießen! Um dem Gedränge des Marktes zu entgehen, schlug sie sich in eine Nebenstraße und wand sich durch ein Gewirr aus Gässchen, die immer enger wurden, je leiser das Geschrei der Verfolger wurde. Endlich verlangsamte Sophie ihren Schritt.
Höchst zufrieden mit sich selbst ließ sie sich jetzt den letzten Krümel Pastete schmecken. Gerade schleckte sie sich ungeniert die Fingerspitzen ab, als sich eine schwere Hand auf ihre Schulter legte.
Heftig zuckte Sophie zusammen, schon drauf und dran, wieder die Flucht zu ergreifen. Da aber packte die zweite Hand zu und hielt sie fest. Man hatte sie buchstäblich auf frischer Tat ertappt! Verstört senkte sie die Augen zu Boden, weil sie nicht den Mut aufbrachte, sich dem anklagenden Blick ihres Häschers zu stellen.
Ein Diebin war sie, schlicht und einfach. Was hätte wohl Hélène dazu gesagt?
„Da hätte ich dir aber eine bessere Kinderstube zugetraut“, murmelte Hugues.
Fassungslos schaute Sophie auf. „Du?“, rief sie, worauf er übers ganze Gesicht grinste. Unter günstigeren Umständen hätte ihr das Jungenhafte wohl gefallen, das sein schelmisches Grinsen ihm verlieh, doch dafür raste ihr Herz viel zu schnell.
„Allerdings, ich“, bestätigte er schlagfertig. „Du wusstest doch, dass ich auf dem Weg nach Rochelle war“, setzte er hinzu, obgleich Sophie sich gar nicht so sicher war, dass sie das vorher gewusst hatte. Für einen Wimpernschlag war ihr, als sähe sie so etwas wie Erleichterung in seinem Blick. Dann aber wurde er ernst, und in diesem Moment fragte sie sich, ob er wohl in der Hoffnung, sie werde irgendwann auftauchen, hier gewartet hatte.
Doch gleichzeitig machte sein ernster Gesichtsausdruck alle Zuversicht zunichte, er könne am Ende doch wie sie zu der Überzeugung gelangt sein, dass das Schicksal sie zusammengeführt habe. Erbittert knirschte Sophie mit den Zähnen. Er sah geradezu ekelhaft wohlgenährt aus; gepflegt und ausgeruht – und plötzlich wurde ihr bewusst, wie abgerissen sie selbst dagegen wirken musste. Unter den gegebenen Umständen empfand sie seine herablassende Art als ausgesprochen taktlos. Entrüstet richtete sie sich zu ihrer vollen Größe auf. Wie oft muss ich ihm die Sache eigentlich noch erklären?
„Zum Glück für dich“, fügte er hinzu.
Sophie, die nicht die geringste Lust auf eine Moralpredigt verspürte, schüttelte seine Hand ab. „Seit Bordeaux habe ich herzlich wenig zu essen bekommen“, knirschte sie empört, worauf Hugues verblüfft eine Augenbraue hob. „Aber das war dir ja auf dem Schiff einerlei.“
Sein Hals nahm eine leichte Rötung an. „Ach?“, sagte er nur kurz, ohne auf Sophies Vorwurf näher einzugehen, obwohl sie gedacht hatte, jeder andere Sterbliche hätte sich wohl dafür entschuldigt, dass er sie ihrem Schicksal überlassen hatte. Sie nickte nur zögernd, während er wieder die Stirn in Falten legte, sodass sie sich schon auf einen geharnischten Vortrag gefasst machte.
„Dann folge mir“, sagte er unerwartet und fasste sie mit einer Bestimmtheit, die keinen Einwand zuließ, beim Ellbogen.
Sophie fügte sich widerwillig. „Wo gehen wir denn hin?“, forschte sie, wobei sie vergebens versuchte, sich seinem Griff zu entwinden, während Hugues sie unbeirrt die Gasse
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