Ruf der Sehnsucht - Historical Special Bd 33
Bruders.
„Eduard!“, rief Hugues über die Schulter. „Schicke sofort einen Meldereiter nach Fontaine. Jean möge sich umgehend herbemühen. Das Kind kommt.“
„Aber nicht doch, Hugues“, mahnte Louise. „Am Ende erschrickt Jean sich noch zu Tode. Und das Kleine nimmt sich sowieso Zeit.“
„Du brauchst ihn hier, und zwar schon vor der Ankunft des Kindes“, erwiderte Hugues energisch, was ihm ein nachgiebiges Lächeln von Seiten seiner Schwester eintrug.
„Aye, denn auf solche wie dich kann man sich im Krankenzimmer ja nicht verlassen“, flachste sie. „Du kannst dir ja noch weniger als jeder andere vorstellen, dass auch du einmal krank wirst.“
„Jetzt reicht es aber mit deiner Mäkelei! Sonst kriegst du am Ende dein Kind noch hier im Burgsaal!“
Louise belohnte die barsche Mahnung mit einem amüsierten Lachen. „Ach, Hugues“, rief sie protestierend, „es wird noch Tage dauern, bis es so weit ist, und wenn ich die allesamt allein in meiner Kemenate zubringen soll, dann wird sich das nicht gut auf meine Laune auswirken.“
Ihr Bruder ließ sich durch diesen Hinweis nicht beirren. „Jean wird schon rechtzeitig eintreffen, und wenn er dann sieht, dass du dir keine Ruhe gönnst, wird er mir den Kopf abreißen.“
Zwar schürzte Louise verdrossen die Lippen, doch Hugues geleitete sie dennoch die Treppe wieder hinauf. Als sie auf der dritten Stufe stehen blieb und scharf den Atem anhielt, reichte ihm ein einziger Blick in ihr Gesicht, um sie sich mühelos auf die Arme zu heben und sie das verbliebene Treppenstück hinaufzutragen.
„Na, das sieht ja aus, als wäre ich doch nicht so schwer“, witzelte sie, was Hugues mit einem amüsierten Kopfschütteln quittierte.
„Wohnst du in deinem ehemaligen Gemach?“, fragte er und setzte den Weg auf ihr Kopfnicken hin den Gang hinunter fort.
„Was bis du denn plötzlich für ein Romantiker?“, fragte sie kokett. Zu seinem Entsetzen merkte Hugues, wie ihm bei ihrem Scherz auf einmal ganz heiß wurde. „Hat unser Hugues etwa endlich sein Herz verloren?“, flüsterte sie schelmisch, als sie vor der Tür zu ihrer Kammer angelangt waren.
Hugues würgte weitere Kommentare gleich ab.„Keineswegs“, brummte er kurz angebunden, indem er sie absetzte und dann abrupt die Augen schloss, als ihm der Geruch aus dem Gemach seines Vaters vom anderen Ende des Ganges her in die Nase drang.
Dieser Geruch stammte wohl von den Packungen, mit denen der Burgvogt seinen Herrn und Gebieter schon seit Langem verarztete, wenn der sich unpässlich fühlte. Die unverkennbare Duftmischung aus verschiedensten Kräutern löste bei Hugues jedes Mal dieselbe Reaktion auf Krankheit aus wie der Anblick eines Siechen selbst.
Du musst da hinein, mahnte er sich und starrte zähneknirschend die Tür an.
„Armer Hugues“, wisperte Louise mitfühlend und fuhr ihm sanft mit den Fingerspitzen über die Stirn, was er jedoch kaum bemerkte. „Welch ärgerer Feind könnte dir gegenüberstehen als ein Gemach voller Kranker?“
Weil er plötzlich das Gefühl hatte, er könne sie verletzt haben, drehte Hugues sich verlegen zu seiner Schwester um. „Ich freue mich doch, dass du da bist“, entgegnete er empört, fest davon überzeugt, dass auch sein Vater seinen Spaß an Louises Anwesenheit hatte. Wer hatte schließlich nicht seine helle Freude an seiner immer fröhlich aufgelegten Schwester?
Abermals legte sie ihm lächelnd die Hand auf den Arm. „Ich verstehe ja, Bruderherz. Es fiel dir immer schon schwer, wenn du miterleben musstest, dass deine Lieben krank wurden“, murmelte sie, die Finger fest gegen seinen Arm gepresst. „Aber jetzt geh zu Papa, solange er noch ansprechbar ist“, riet sie ihm. Die Wahrheit, die Hugues stets von sich gewiesen hatte, schimmerte in ihren Augen.
„Steht es denn so schlimm?“, fragte er heiser.
Louise seufzte. „Ich fürchte, es wird bald mit ihm zu Ende gehen“, bestätigte sie leise.
Hugues drückte kurz ihre Finger, ehe er, die Schultern gestrafft, auf die Tür zutrat. Auf der Schwelle zögerte er einen Wimpernschlag, in den Ohren das wummernde Pochen des eigenen Herzens, und als seine Schwester ihm aufmunternd zulächelte, klopfte er an die Tür. Von drinnen ertönte ein lautes „Herein!“ Nun blieb nichts weiter übrig, als einzutreten und dem Vater ein letztes Lebewohl zu sagen.
Ins Spiel mit seinem Enkel Michel vertieft, krabbelte der Burgherr zu Pontesse auf allen vieren auf dem Boden herum.
Der Anblick traf Hugues derart
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