Ruf der Sehnsucht
vorzuenthalten, dachte Jeanne, aber sie hütete sich, es auszusprechen.
Douglas war mit dem ersten Tageslicht aufgestanden und bereits mit seiner Korrespondenz beschäftigt, als ihm Kapitän Manning gemeldet wurde.
»Trinkt Ihr noch immer gern Kakao am Morgen, Alan?«, erkundigte er sich.
Der Kapitän nickte. »Es schert mich nicht, wenn meine Holzzähne fleckig davon werden.«
Douglas wies den Majordomus an, das Frühstück in der Bibliothek servieren zu lassen, bot Manning Platz an und setzte sich wieder.
Kurz darauf klopfte es, und auf Douglas’ »Herein!« erschien ein junges Mädchen mit einem Tablett, auf dem sich eine Kanne, zwei Tassen nebst Untertassen, Marmeladen, Toast, Würstchen und mit einer Schnur an den Schwänzen zusammengebundene, geräucherte, warme Heringe befanden, und stellte es auf den Schreibtisch. Douglas dankte ihr, wartete, bis sie gegangen war, und erklärte Manning dann: »Ich brauche Eure Hilfe.«
Es war Alan Manning gewesen, der die Nachricht nach Gilmuir gebracht hatte, dass das Flaggschiff der MacRae-Flotte auf See geblieben war, eine Information, die Douglas selbst jetzt, sieben Jahre später, noch immer nicht akzeptieren konnte. In seiner Vorstellung waren seine Eltern gerettet worden und lebten irgendwo. Solange sie zusammen waren, das wusste er, könnte ihnen nichts geschehen.
Im Gegensatz zu Douglas hatte Manning der Seefahrt nicht Lebewohl gesagt, war seiner kürzlichen Verehelichung wegen jedoch ein paar Wochen länger in Edinburgh geblieben als sonst. Außerdem erwog er eine Anstellung bei den MacRaes. Eines der MacRae-Schiffe zu befehligen würde ihm zwar weniger einbringen, aber auch sein Risiko mindern. Ein Schiff war ein kostspieliger Besitz. Jedes Mal, wenn ein Segel geflickt, ein Mast repariert oder ein Anker ersetzt werden musste, gingen die Kosten dafür vom Profit des Eigners ab. Wenn ein Mann Kapitän auf einem eigenen Schiff war, konnte er viel Geld verlieren, wenn er es auf einer Reise mit schlechtem Wetter oder einer nachlässigen Mannschaft zu tun hatte.
»Ich möchte Euch um einen Gefallen bitten.« Douglas reichte Manning eine Tasse seines geliebten Kakaos. »Könnt Ihr einen Mann entbehren? Einen vertrauenswürdigen, diskreten?«
Der Kapitän horchte auf. »Vielleicht. Warum?«
»Ich möchte jemanden beobachten lassen. Eine Frau.«
Schweigen.
»Aus meiner Vergangenheit«, setzte Douglas hinzu.
Manning nahm einen Schluck Kakao und schloss die Augen, um ihn besser genießen zu können. »Warum?«, fragte er, als er die Augen wieder öffnete.
Douglas lächelte. »Ich möchte über ihre Aktivitäten informiert werden – für den Fall, dass sie Edinburgh verlassen will.«
Sein Gegenüber zog eine Braue hoch, aber Douglas beantwortete die stumme Frage nicht.
»Wo wohnt sie denn?«
Douglas gab ihm die Adresse, sah, wie sich die zweite Braue zur ersten gesellte, und fragte sich, wie viel er wohl preisgeben müsste, bis Manning seiner Bitte entspräche.
Nach kurzem Überlegen stand Douglas auf und ging ans andere Ende des Raums zu einem hohen Schrank mit Glastüren. Obwohl er einem Clan entstammte, der Traditionen und Familiengeschichte hochhielt, hatte Douglas sich nie für sentimental gehalten, doch seine Tochter hatte ihn eines Besseren belehrt.
Douglas öffnete die Glastür, entnahm dem Schrank ein Goldkettchen, das kürzer als sein Daumen war, und brachte es dem Kapitän.
»Mein Bruder Hamish, seine Frau Mary und ich haben vor Jahren ein kleines Mädchen gerettet, so unterernährt, dass dies um sein Handgelenk passte. In den ersten Wochen benutzten wir das Kettchen, um ihre Gewichtszunahme zu messen. Wir wussten lange nicht, ob sie überleben würde.«
Manning spannte das Kettchen zwischen den Fingern und betrachtete es stirnrunzelnd.
»Meine Schwägerin genießt einen hervorragenden Ruf als Heilerin, und ich glaube, es ist ihr zu verdanken, dass Margaret am Leben blieb.«
»Margaret?«, fragte Manning.
»Ja.« Douglas setzte sich wieder hinter den Schreibtisch. »Ich entschied damals, dass sie nie erfahren durfte, dass ihre Mutter sie im Stich gelassen hatte.«
»Und die Frau, die ich beobachten lassen soll, ist diese Mutter.«
»Nein, sie ist nicht ihre Mutter«, sagte Douglas. »Sie ist Margarets Gebärerin, mehr nicht. Die Mutter war Mary.«
»Und warum soll ich diese Frau nun beobachten lassen?«, wollte Manning wissen.
»Margaret hat bisher in einer sicheren Welt gelebt, aber …«
»Aber Ihr fürchtet, dass diese
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