Ruf der Sehnsucht
Züchter wie James, kein Brenner wie Brendan. Er gebot über Lagerhäuser in Leith, Schiffe und Fuhrwerke – ein Lagergeschäft in Verbindung mit einem Transportunternehmen: »MacRae Brothers«, dessen Schriftzug auf den Giebeldächern der Firmengebäude und den Längsseiten der Wagen prangte.
Er hatte die ganze Nacht kein Auge zugemacht, ignorierte seine Müdigkeit jedoch. Vor einer Stunde hatte er Manning zumindest ein wenig aufgemuntert verabschiedet. Der Kapitän hatte zugestimmt, einen Mann zur Beobachtung des Hartley-Hauses abzustellen, der regelmäßig Bericht erstattete.
Douglas nickte Stephens zu, bestieg die Kutsche und begann im Geist, die Reihenfolge seiner anstehenden Erledigungen festzulegen. Bequem zurückgelehnt, genoss er auf dem Weg nach Leith, Edinburghs Seehafen, die Aussicht.
Und sah
sie
.
Jeanne hatte ihren kleinen Schützling dabei und konsultierte, der Sonne wegen mit zusammengekniffenen Augen, eine Liste in ihrer Hand.
Douglas gab dem Kutscher ein Klopfzeichen. Im nächsten Moment schaute der Mann zu dem kleinen, eigens für diesen Zweck vorgesehenen Fenster herein.
»Ja, Sir?«
»Haltet am Straßenrand.«
Stephens machte das Fenster zu und schwenkte aus. Douglas positionierte den Vorhang so, dass er sehen konnte, ohne gesehen zu werden.
Er hatte Stunden damit zugebracht, die sechzehnjährige Tochter des Comte mit der Gouvernante unter einen Hut zu bringen. Jeanne war ein unkonventionelles Mädchen gewesen, das – zu seiner Freude – gegen die ihm gezogenen Grenzen anrannte.
Der junge Douglas war mehr als bereit gewesen, ihr dabei zu helfen, ihre Sinnlichkeit zu entdecken, und auch mehr als bereit, ebenfalls die Beschränkungen zu ignorieren, die zu respektieren er erzogen worden war. Sie waren beide ungebärdig gewesen und zu verliebt, um zu erkennen, wie töricht es war, die gesellschaftlichen Regeln ändern zu wollen, nur weil sie ihnen zu einengend erschienen.
Was sie damit erreicht hatten, ließ sich nur als Desaster beschreiben.
Entschlossen schob Douglas die Erinnerungen an Frankreich beiseite. Es war zu viel geschehen seit damals, um an liebevollen Erinnerungen festhalten zu können. Stattdessen beobachtete er Jeanne und fragte sich, wie das Böse so schön aussehen konnte.
Kapitel 7
J eanne nahm Davis bei der Hand, und sie überquerten die Straße.
»Wohin gehen wir denn, Miss?«, fragte er.
Sie las ihm die Punkte auf ihrer Liste vor. »Zum Lebensmittelhändler, um Gemüse für die Köchin zu besorgen, zum Schuster, um die Stiefel deines Vaters abzuholen, zur Putzmacherin wegen eines Hutes für Barbara – und dann müssen wir noch Besteck zum Reparieren bringen.«
Als das Personal hörte, dass Barbara ihr einige Erledigungen aufgetragen hatte, waren noch ein paar dazu gekommen, aber das machte Jeanne nichts aus. Das Wetter war schön, und es tat ihr gut, von dem bevorstehenden Gespräch mit Hartley abgelenkt zu sein.
Davis konzentrierte sich auf das Backsteinmuster des Trottoirs. Er war ein braves Kind. Zu brav. Aber vielleicht änderte sich das ja noch, wenn er älter würde.
Edinburgh im Frühling war wahrlich wunderschön. Straßenverkäufer, Kutschen, Menschen, die sich unterhielten, sorgten für ein buntes Durcheinander aus Geräuschen. Der frische Wind, der duftend um die Ecken wehte, erinnerte Jeanne an den Pariser Blumenmarkt.
In diesem Teil der King Street beherrschten schwarzlackierte Kutschen, hochtrabende Pferde und sichtlich wohlhabende Fußgänger das Bild. Jeanne nickte den feinen Herren zu, die grüßend an ihre Hutkrempe tippten, und gab sich für die Zeit, die sie brauchten, um ans Ende der King Street zu gelangen, der Illusion hin, eine gut verheiratete Edinburgherin mit ihrem Sohn zu sein.
Und mit wem war sie verheiratet? Douglas erschien vor ihrem geistigen Auge. Sie schob ihn weg, aber er kehrte zurück.
Warum hatte Douglas sich entschieden, sich in dieser Stadt niederzulassen? Wie war sein Leben seit damals verlaufen? Hatte er sich die Welt angesehen, wie er es mit siebzehn wollte? Viele Fragen und keine Antworten.
Der Goldschmied fand sich leicht. CHARLES TALBOT , GOLDSCHMIED stand fein geätzt auf der Schaufensterscheibe und in Brandmalerei auf dem Holzschild über der Ladentür, das zwei ineinandergeschlungene Ringe zierten.
Ein bei ihrem Eintreten silberhell anschlagendes Glöckchen holte einen Mann hinter einem Vorhang hervor. Das braune Haar sah aus, als hätte er es sich gerauft, und er war dabei, in der Eile ungeschickt,
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