Ruf der Sehnsucht
nickte eifrig. »Gott segne Euch, Herr.«
Douglas stieg wortlos auf sein Pferd und streckte die Arme aus.
Mary reichte ihm seine Tochter herüber. »Es ist ein Wunder, dass sie noch lebt«, sagte sie und streichelte mit einem Finger die Wange des Kindes.
Es vergingen bange Wochen, bis endlich feststand, dass die Kleine überleben würde.
Douglas hatte nicht geglaubt, dass er ebenso intensiv hassen könnte, wie er liebte, aber als er seine Tochter im Arm hielt und in das winzige Gesicht blickte, war er überzeugt, dass er Jeanne du Marchand bis zu seinem letzten Atemzug für das hassen würde, was sie getan hatte.
Wo war der Hass geblieben?
Als hätte er Margaret mit seinen Erinnerungen heraufbeschworen, sah er aus dem Augenwinkel eine Bewegung. Als er den Kopf drehte, verdeutlichte der verschwommene Farbtupfer sich zu einem grünen Kleid und wehenden, schwarzen Locken, und er sah seine Tochter, gefolgt von zwei größeren Jungen durch das Tal rennen.
Das Tor zu seinem Herzen öffnete sich weit.
Voller Ungeduld sah er zu, wie die Seeleute den Anker ins Wasser hinunterließen und das Schiff sich dem Pier mit der Gemächlichkeit einer bedächtigen Schildkröte näherte. Als es endlich vertäut lag, war Margaret verschwunden, aber Douglas wusste, wo sie sein würde – dort, wo sie immer war, wenn er kam, um sie abzuholen.
Er hatte nicht die gleiche enge Bindung an Gilmuir wie seine Tochter. Sie erinnerte ihn an seine Mutter und die Geschichten, die sie ihm oft von dem Castle erzählt hatte, als er noch ein Kind war. Vielleicht war sie auch mehr wie Moira MacRae, seine Großmutter, die einen englischen Earl geheiratet hatte, aber auch danach noch jeden Sommer nach Schottland zurückgekommen war.
Wenn Margaret von Gilmuir sprach, leuchteten ihre Augen, und ihr Gesicht strahlte. Für seine Tochter war es der schönste Ort auf Erden.
Alisdair hatte Jahre darauf verwendet, den Stammsitz der MacRaes in alter Pracht wiedererstehen zu lassen, doch Douglas vermutete, dass das heutige Castle bedeutend prächtiger war.
Jeden Sommer trafen sich die Brüder mit ihren Frauen und Kindern hier für einen Monat, um zu verhindern, dass die Familienbande sich lockerten. Sogar Hamish und Mary planten ihre Reisen entsprechend. Da Mary sich aus Angst und Rücksicht weigerte, schottischen Boden zu betreten, versammelten sich alle auf Hamishs Schiff, um sie zu begrüßen, und auch Douglas ließ sich das nie nehmen. Er würde Mary auf ewig dankbar sein, denn Margaret verdankte ihr Leben seiner Überzeugung nach nur medizinischem Wissen und Können ihrer Tante.
Er sah seine Brüder das Jahr über zwar öfter und ihre Ehefrauen gelegentlich, aber die Zusammenkunft auf Gilmuir war etwas Besonderes. Hier wurden in Douglas Erinnerungen wach – an seine Eltern, an seinen Großonkel und die Geschichten, die er in seiner Kindheit in Nova Scotia gehört hatte. Sein MacRae-Erbe waren der Boden und die Luft von Gilmuir.
Er verließ den Hafen und nahm den kopfsteingepflasterten Weg, der sich rechter Hand den Hügel hinaufwand und nach Gilmuir führte. Direkt vor ihm lag der Weg zur Landbrücke und ins Tal, unter ihm das halbrunde Riff, eine Reihe schwarzer, aus dem Wasser ragender Klippen, die eine einst geheime Bucht und heute das Dock der MacRae-Werft umgaben. Das dunkelblaue Wasser glitzerte im Sonnenlicht.
Der Glimmer im Fels der Steilküste erinnerte Douglas an Jeannes Augen.
Anfangs war er von dem Wunsch beseelt gewesen, Jeanne zu bestrafen, als könnte er, indem er ihr Schmerz zufügte, wiedergutmachen, was sie verbrochen hatte. Die Dankbarkeit dafür, dass Margaret am Leben geblieben war, und die Zeit hatten seinen Zorn gemildert, doch bei dem Wiedersehen mit Jeanne war er wieder aufgelodert.
Jeanne und er hatten es bis zu seiner Abreise aus Edinburgh sorgfältig vermieden, die vergangenen zehn Jahre anzusprechen, denn sie wussten beide, was daraus folgen würde. Jeanne müsste ihm gestehen, was sie getan hatte, und er müsste sie vernichten.
Er hätte sie sich auf Armlänge vom Leib halten müssen. Stattdessen hatte er ihr beigewohnt. Zweimal. Als er erkannte, dass er ihr nicht widerstehen konnte, war er buchstäblich geflohen, hatte die Stadt eine Woche eher als geplant verlassen und war nun früher auf Gilmuir eingetroffen als erwartet.
Doch Jeanne war präsent, so intensiv, dass er glaubte, sie neben sich und ihre Hand auf seinem Arm zu spüren. Die Illusion war so überzeugend, dass Douglas, als Alisdair plötzlich auf
Weitere Kostenlose Bücher