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Ruf der Sehnsucht

Ruf der Sehnsucht

Titel: Ruf der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Ranney
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immer.
    Enttäuscht sagte sie zu Margaret: »Wir müssen die Geschichtslektion heute beenden.«
    Douglas blickte auf das finstere Gesicht seiner Tochter hinunter. »Der Unterricht geht vor, Meggie. Dann kommst du eben das nächste Mal mit.« Er schaute zu Jeanne. »Dann überlasse ich euch mal eurer Lektion.« Er legte die Hand auf den Scheitel seiner Tochter, eine häufige, liebevolle Geste von ihm, und Margaret lächelte wie immer zu ihm auf.
    Angesichts der Harmonie zwischen den beiden zog sich Jeannes Magen zusammen.
    Nachdem Douglas gegangen war, wirkte der Raum plötzlich weniger hell, als wäre der Himmel noch dunkler geworden oder der Regen stärker, aber nichts davon war geschehen.
    Jeanne wandte sich Margaret zu. »Es ist noch eine Stunde bis zum Mittagessen. Lass uns die Zeit nutzen.« Sie zwang sich, das Mädchen anzulächeln.
    Margaret bedachte sie mit einem Stirnrunzeln, setzte sich jedoch wieder auf ihren Platz.
    »In Wirklichkeit wolltet Ihr gehen, Miss du Marchand«, sagte sie einen Moment später.
    Jeanne sah sie fragend an.
    »Meine Katze war manchmal wie Ihr. Ich gab ihr ein Stück Fisch, und sie tat, als wollte sie es nicht. Papa sagte, es wäre verletzter Stolz – sie hätte den Fisch selbst fangen wollen.«
    Jeanne starrte das Kind wortlos an. Sie wusste nicht, was schlimmer war: mit einer Katze auf eine Stufe gestellt zu werden oder, dass dieses Kind außerordentlich scharfsichtig war.
     
    Als Nicholas Comte du Marchand den Fuß auf die erste Stufe der schmalen Treppe setzte, schlug ihm aus der Tiefe der Gestank von Müll und Exkrementen entgegen. Voller Abscheu presste er sein Spitzentaschentuch auf Mund und Nase.
    »Dort unten wollt Ihr den Mann finden, Talbot?«, fragte er Charles, der vor ihm herging.
    Der Goldschmied drehte sich zu ihm um, und im Schein der Laterne in seiner Hand sah der Comte ihn grinsen. »Für einen Auftrag wie den Euren muss man sich schon in die Niederungen begeben, Comte.«
    »Ich entstamme alten Adelsgeschlecht«, sagte Nicholas, der sich bemühte, flach zu atmen, »und ich wäre Euch dankbar, wenn Ihr meinen Titel nicht in so beleidigender Art und Weise betonen würdet.«
    Talbot setzte seinen Abstieg fort. »Mary King’s Close existiert bestimmt schon fast so lange wie Euer Adelsgeschlecht«, erwiderte er spöttisch.
    Nicholas’ Vorfahren hatten die Invasion der Normannen in England mitfinanziert, doch er sparte sich die Belehrung des Goldschmieds.
    Der Ort, zu dem sie abstiegen, war Teil eines düsteren Gassenlabyrinths, das sich nicht lange, nachdem es gepflastert worden war, aus einem unerfindlichen Grund abgesenkt hatte, wodurch gewissermaßen eine Stadt unter der Stadt entstanden war. Gelächter drang herauf.
    »Nur Mut, Euer Lordschaft – das sind keine Gespenster.«
    Nicholas ertappte sich bei dem Wunsch, dass der junge Mann die Treppe hinunterstürzen möge. Sicherlich würde sich hier niemand um seine Leiche scheren.
    »Seid nicht albern«, erwiderte er zähneknirschend. »Ich bin kein Kind, das sich vor Geistern fürchtet.«
    »Aber genau die soll es da unten geben – die Seelen und Geister von Pestopfern«, sagte Talbot. »Es heißt, dass man, als der Schwarze Tod Edinburgh 1645 heimsuchte, die Gasse an beiden Enden zumauerte, weil die Stadtväter in ihr den Pest-Herd sahen. Die Menschen, die in der Straße wohnten, blieben darin gefangen und starben elendiglich. Ihre Seelen finden keine Ruhe, und so spuken sie als Geister.«
    »Kennt Ihr auch weniger grausige Geschichten?«
    »Ist Euch unbehaglich zumute, Euer Lordschaft?« Charles’ gehässiges Lachen hallte durch den engen, rußschmierigen Backsteinschacht.
    Nicholas drückte dem Goldschmied das Ende seines Spazierstocks in den Rücken. »Was so harmlos aussieht, ist eine Klinge, Talbot«, sagte er in beißendem Ton. »Ihr wisst Bescheid. Ein kleiner Stoß, und Ihr seid ein toter Mann. – Ich denke«, sprach er aus, was ihm kurz zuvor durch den Kopf gegangen war, »dass im Lauf der Jahre mehr als eine Leiche hier liegen blieb.«
    Talbot beeilte sich, die übernächste Stufe zu erreichen. »Ich bitte um Verzeihung, Euer Lordschaft«, entschuldigte er sich hastig. »Ich wollte nicht respektlos erscheinen.« Als Nicholas um ein Haar auf dem glitschigen Untergrund ausgerutscht wäre, suchte er von Ekel erfüllt notgedrungen Halt an der klebrigen Wand des Schachts.
    »Passt auf, dass Ihr auf keine Knochen tretet, Euer Lordschaft.« Dem spöttischen Ton nach hatte Talbot schon wieder

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