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Ruf der Sehnsucht

Ruf der Sehnsucht

Titel: Ruf der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Ranney
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morgendlichen Schlägen auch noch abends ausgepeitscht – das sollte mir die Lust auf solche Träume vergällen.«
    Zunächst sagte er nichts, und als er schließlich sprach, tat er es mit leiser Stimme und zögernd. »Und was hast du getan?«
    Seine Frage erheiterte sie. »Was hätte ich tun sollen?« Sie hatte es ertragen, weil ihr nichts anderes übrigblieb.
    »Du hast dich sehr verändert.«
    »Es sind zehn Jahre vergangen. Du kannst doch nicht erwartet haben, dass ich dieselbe geblieben wäre. Du hast dich übrigens ebenfalls verändert.«
    Er hatte sie die ganze Zeit unverwandt angesehen. Wonach suchte er in ihrem Gesicht?
    Diese Unterhaltung war gefährlich. Jeanne kam sich vor wie am Rande eines Abgrunds. Eine falsche Bewegung, und sie würde in die Tiefe stürzen. Einerseits wollte sie ihm nichts offenbaren, andererseits wollte sie, dass er alles über sie erführe.
    »Trink«, sagte er, als spräche er mit Margaret.
    Der Themenwechsel kam überraschend. Diese Nacht war scheinbar nicht für Enthüllungen gedacht. Schweigend nippte Jeanne an ihrem Tee.
    »Schmeckt er dir?«
    »Ja, er ist gut.«
    »Ist zu viel Whisky drin?«
    »Nein.«
    »Möchtest du etwas essen?«
    »Danke, nein.«
    Wieder schwiegen sie.
    »Margaret wartet auf mich«, sagte Douglas schließlich. Er stand auf und ging zur Tür. »Ich hatte ihr doch versprochen, bei ihr zu bleiben, bis sie wieder einschläft.«
    »Du bist ein guter Vater.« Sein Kind brauchte ihn, und er war zur Stelle. Nur sie hatte er damals im Stich gelassen.
    So wie sie, Jeanne, ihre Tochter im Stich gelassen hatte.
    Sie trank ihren Tee und ließ den Blick durch den Raum schweifen. Sie würde nicht zulassen, dass düstere Gedanken ihr den Rest dieser Nacht verdarben.

Kapitel 22
    J eannes Tagesablauf als Gouvernante spielte sich schnell ein. Vormittags unterrichtete sie Margaret in dem kleinen Schulzimmer im obersten Geschoss des Hauses. Nach dem Mittagessen machten sie beide einen Spaziergang, an den sich Tanz-, Musik- oder Malstunden anschlossen.
    Der Raum für den Tanzunterricht war angenehm kühl in der heißesten Zeit des Tages, ebenso wie der, den Douglas für die Malstunden vorgeschlagen hatte. Margarets Vater war in jeder Hinsicht bemüht, seine Tochter glücklich zu machen.
    Sie war ein Kind, das die Welt um sich her mit wachen Augen betrachtete, und sie lernte schnell. Ihre größte Liebe galt der Malerei, und sie hatte Talent.
    Als Jeanne Douglas wieder einmal von Margrets erstaunlichen Fortschritten in allen Fächern berichtete, schlug er vor, Griechisch dazuzunehmen.
    »Glaubst du, sie wird das irgendwann brauchen können?«
    »Willst du sie nur Dinge lehren, die sie vielleicht irgendwann brauchen kann? Wenn ich mich recht erinnere, war deine Ausbildung auch nicht auf praktische Anwendung ausgerichtet.«
    »Nicht für ein Leben im Kloster«, antwortete sie. »Ich lernte, dass die Gedanken frei sind und die Welt ein freundlicher, gerechter Ort ist. Keine dieser Lektionen war mir später eine Hilfe.«
    »Wenn Margarets Neugier sie an Orte führt, die sie besser meiden sollte, wird ihr Wissen sie vielleicht davon abhalten, töricht zu handeln.«
    »Du willst damit sagen, dass keine Ausbildung wirklich umsonst ist?«
    Er lächelte. »Das wird dir jeder gute Lehrer sagen.«
    Offensichtlich hatte er keinerlei Vorbehalte, weil Margaret ein Mädchen war, und Jeanne hatte noch nie eine Bemerkung von ihm gehört, die darauf hingedeutet hätte, dass er enttäuscht war, keinen Sohn zu haben. Außerdem sprachen seine Anordnungen dafür, dass sie nur für die Bildung seiner Tochter sorgen sollte, nicht auf deren Wesen einwirken.
    Im Gegensatz zu Jeannes Vater, der sie nach seiner Vorstellung hatte formen wollen, hielt Douglas Margaret schlicht gesagt für vollkommen.
    Demzufolge besaß sie ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein, unterschied sich von Davis wie ein Schmetterling von einem Stein.
    Heute stand die Geschichte des britischen Empires auf dem Stundenplan. Jeanne saß an dem kleinen Schreibtisch auf dem Podest im vorderen Teil des Schulzimmers, Margaret vor ihr an ihrem Pult.
    »Glaubt Ihr, dass man Gott sehen kann, Miss du Marchand?«, fragte Margaret plötzlich. Sie stützte den Ellbogen auf den Tisch, das Kinn in die Hand und schaute in den grauen Tag hinaus. Morgens hatte es gewittert, und jetzt fiel ein feiner Nieselregen.
    »Wie kommst du denn jetzt darauf?«
    Margaret zuckte mit den Schultern.
    »Nein«, antwortete Jeanne ihr. »Man muss an ihn glauben, ohne

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