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Ruf der Sehnsucht

Ruf der Sehnsucht

Titel: Ruf der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Ranney
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Oberwasser.
    Plötzlich verschwand seine Laterne, deren Schein Nicholas als Orientierung diente, und er befand sich in undurchdringlicher Finsternis, die ihn deutlich das Trippeln winziger Füße und dazwischen schrilles Quieken wahrnehmen ließ. Er verabscheute Ratten.
    »Hat Euch der Mut verlassen?«, fragte der Goldschmied, der mit seiner Laterne wie aus dem Nichts am Fuß der Treppe erschien.
    »Ist es denn wirklich notwendig, diesen …«, Nicholas suchte vergeblich nach einer passenden Bezeichnung, »… Ort aufzusuchen?«
    »Wenn Ihr erst mal hier unten seid, wird es besser, Euer Lordschaft.«
    Nicholas tröstete sich mit dem Gedanken, dass er, sobald der Rubin in seinem Besitz wäre, nie wieder mit dem Goldschmied zu tun haben müsste.
    Unten angelangt, folgte er diesem Mann, richtete den Blick dabei jedoch auf die Laterne, so dass er, als der Boden sich plötzlich neigte, beinahe vornübergefallen wäre. Er gewann sein Gleichgewicht gerade rechtzeitig zurück, um Talbot ein Wirtshaus betreten zu sehen.
    Unter dem niedrigen Türstock den Kopf einziehend, gelangte Nicholas in einen weitläufigen, rauchgeschwängerten Raum. Hinter dem Tresen zapfte ein korpulenter Mann in einem fleckigen Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln ein Fässchen an, das auf Kufen auf der Theke stand. Er musterte die Ankömmlinge kurz und nickte Talbot dann zu. Nicholas umfasste seinen Spazierstock fester. Zumindest war er nicht völlig wehrlos.
    Er war kein Mann, der ein Risiko unterschätzte – und er glaubte nicht an das Gute im Menschen. Sein Zynismus hatte ihn in den letzten paar Jahren am Leben erhalten, während sein Stand abtrat und Anarchie und Pöbel herrschten.
    An der Theke saßen Männer, die, ihre Humpen mit beiden Händen umfassend, in ihr Bier starrten. Einer von ihnen trug eine tief ins Gesicht gezogene Kappe und einen Stoppelbart. Seine Ausdünstung veranlasste Nicholas, sich wieder sein Taschentuch vor die Nase zu halten, und weckte den sehnlichen Wunsch in ihm, sein Lavendelwasser mitgenommen zu haben.
    Talbot flüsterte dem Wirt etwas zu, und der reagierte mit einer Kopfbewegung. Gleich darauf folgte Nicholas dem Goldschmied durch das Gedränge zu einem Tisch im hinteren Teil des Raums, an dem ein einzelner Mann saß. Als er Talbot kommen sah, kickte er zu seiner Linken einen niedrigen Hocker unter dem Tisch hervor und deutete darauf.
    Talbot setzte sich. Nicholas musste sich um seine Sitzgelegenheit selbst bemühen. Er legte die Hände auf den Griff seines Spazierstocks und musterte den Mann, der sie erwartet hatte.
    Das runde Gesicht war von Narben und Pickeln übersät, und unter dem Kinn hingen Hautlappen, als hätte der Mann innerhalb kurzer Zeit dramatisch an Gewicht verloren. Die braunen Augen waren aufgrund von Alkohol, Rauch oder Krankheit blutunterlaufen, die Hände, die den Bierkrug umfasst hielten, fleischig, die Fingernägel erstaunlich sauber. Das lückenhafte Gebiss bestand aus braunen Stummeln.
    Er war das Bild eines Mannes, der für eine entsprechende Summe alles tun würde.
    »Ich höre, Ihr habt einen Auftrag für mich.« Seine Aussprache war derart dialektgefärbt, dass Nicholas Mühe hatte, ihn zu verstehen.
    »Ja.« Er beugte sich vor und erläuterte sein Begehr.
    Als er geendet hatte, starrte der Mann eine Weile in seinen Humpen. Schließlich nickte er langsam. »Ich mach’s.«
    »Wie viel?«, fragte Nicholas. Als er die Antwort hörte, war er im ersten Moment sprachlos. Sein Geld ging zur Neige – aber wie es aussah, blieb ihm keine Wahl. Wenn seine Tochter noch so gutartig wäre wie als Kind, müsste er jetzt nicht zu solchen Mitteln greifen. Schweren Herzens nickte er.
    Nachdem man sich über den Preis geeinigt hatte, bestellte Talbot eine Runde Bier. Nicholas war klug genug, die Einladung nicht abzulehnen. Allerdings würde er in dieser Spelunke keinen Schluck trinken.
    Nachdem er dem Mann die für seinen Auftrag notwendigen Informationen gegeben hatte, verabschiedete er sich. Als er die Treppe hinaufstieg, hatte er das Gefühl, geradewegs aus der Hölle zu kommen.

Kapitel 23
    M ein Vater findet Euch wunderschön, Miss du Marchand«, sagte Margaret eines Tages.
    Als Gouvernante hätte Jeanne das Kind darauf hinweisen müssen, dass es unhöflich war, sich zu der Erscheinung eines Menschen zu äußern. Schließlich zählte der Charakter mehr als Schönheit. Aber sie ermahnte Margaret nicht. Stattdessen fragte sie mit klopfendem Herzen: »Wie kommst du darauf?«
    »Er hat es gesagt.«

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