Ruf Der Tiefe
gerade an dein Tauchermesser, stimmt’s? Vergiss es, das schlag ich dir aus der Hand, bevor du ›Kennedy‹ sagen kannst.« Plötzlich sauste die Metallstange auf Leon zu, bremste aber im letzten Augenblick ab und klopfte nur leicht auf das Logo der OxySkin. »Was is’n das für ein Zeichen? Mossad oder so was?«
Mossad? Was zum Teufel war mit dem Typen los? »ARAC«, brachte Leon hervor, und nein, er hatte nicht an sein Tauchermesser gedacht, sondern an seine Partnerin, die seine erschrockenen Gedanken gespürt hatte und nun hinter dem Kapitän über die Bordwand kroch. Kraken wechselten die Farbe, wenn starke Gefühle sie durchzuckten, und jetzt gerade war Lucy nicht wie sonst rotbraun, sondern buchstäblich blass vor Wut.
»ARAC? Dieser Dreckskonzern? Das ist ja schlimmer als Mossad und Steuerbehörde zusammen!«
»Lucy«, krächzte Leon. »Lucy, tu’s nicht, das gibt nur Ärger!«
Völlig verblüfft glotzte der Mann ihn an, plötzlich wurde sein Gesicht weicher und er ließ die Eisenstange sinken. »He, Moment mal. Lucy schickt dich? Das ist natürlich ganz was anderes. Herzlich willkommen! Entschuldige den etwas rauen Empfang.«
»Äh … ich …«, stammelte Leon. Kein Zweifel, dieser Mann hatte einen schweren Dachschaden! Doch dann fiel sein Blick auf den Rettungsring, der an der Seite des Ruderhauses hing. Lovely Lucy stand darauf – anscheinend der Name des Boots. Na, wenn das mal kein schöner Zufall war! Vielleicht hatte er sein Boot auf den Namen seiner Frau getauft.
Jetzt rang sich der Mann sogar ein Lächeln ab und streckte die Hand aus. »Ich bin Jonah Simmonds, aber das weißt du ja eh schon, oder? Und dein Name ist …?«
Eigentlich war Leon nicht danach zumute, zu antworten, doch es war und blieb eine Tatsache – der Typ hatte ihn gerettet. »Leon«, sagte er und ließ den Nachnamen aus. Doch Simmonds hatte sein Zögern sehr wohl bemerkt, und jetzt erschien ein Lächeln auf seinem Gesicht, das Leon nicht besonders gefiel. »Soso, Leon … willst nicht mehr sagen, was? Du wirst nicht zufällig von den Bullen gesucht oder so?«
Die Frage traf Leon wie ein Schlag in den Magen. Simmonds war der Wahrheit schon gefährlich nahgekommen. Fabienne Rogers’ Worte klangen ihm noch im Ohr: Sonst betrachten wir das, was du gerade tust, als Diebstahl und erstatten Anzeige …
»Nein«, sagte er mit aller Überzeugungskraft, die er aufbrachte, und schaffte es irgendwie, seinen Blick von Lucy fernzuhalten, deren Arme sich keinen Meter hinter Simmonds tastend auf dem Deck ringelten. Chili, die rot getigerte Bootskatze, beobachtete sie misstrauisch, anscheinend hin und her gerissen zwischen Jagdtrieb und Vorsicht.
Ich glaube nicht, dass er jetzt noch eine Gefahr für mich ist, bitte geh wieder ins Meer, drängte Leon seine Partnerin und ungewollt sandte er ihr ein Bild seiner Befürchtungen – Simmonds, der mit einer Eisenstange auf ein an Deck liegendes Krakenweibchen eindrosch. Ich komme hier schon irgendwie klar!
Tippt er dich an, werde ich vielgroß gefährlich, kündigte Lucy an, und Leon wusste, dass das eine ernst zu nehmende Drohung war. Eine Krake dieser Größe war weitaus stärker als jeder Mensch und weder mit ihren Saugnäpfen noch mit dem papageienähnlichen Schnabel an der Unterseite ihres Körpers war zu spaßen. Doch ein Kampf war so ungefähr das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte. Erleichtert sah er, dass Lucy sich mit ihren Saugnäpfen wieder die Bordwand hochzog und bereit machte, ins Meer zurückzuglitschen.
Noch immer beobachtete Simmonds ihn mit diesem halben Lächeln und Leon erkundigte sich: »Wohin fahren Sie eigentlich?«
Leon zuckte fast zusammen, als Simmonds in ein dröhnendes Gelächter ausbrach. »Heiliges Kanonenrohr, hat Lucy dir das nicht gesagt? Irgendwo und nirgends sind wir unterwegs, Chili und der gute alte Jonah. Also, raus damit: Was sollst du mir von Lucy ausrichten?«
Krampfhaft versuchte Leon, sich etwas auszudenken, während seine Partnerin sich wieder ins Wasser gleiten ließ. War es besser, jetzt zu gestehen, dass er keine andere Lucy kannte? Oder würde dieser Kerl ihn dann sofort über Bord werfen? Es waren mehrere Meilen bis zur Küste. Normalerweise hätte er problemlos geschafft, so weit zu schwimmen, doch die Wahrheit war, dass er sich nicht besonders gut fühlte und sich nach nichts weiter sehnte, als sich hinlegen zu können und auszuruhen. Simmonds wartete eine Weile auf eine Antwort, und als er keine bekam, warf er Leon einen
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