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Ruf Der Tiefe

Ruf Der Tiefe

Titel: Ruf Der Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Brandis , Hans-Peter Ziemek
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Hab meine Frau für sie verlassen. War hart für alle, vor allem wegen der Kids. Und dann hat Lucy gesagt, sie braucht Zeit zum Nachdenken, weil sie nicht sicher ist, ob das mit uns funktionieren würde. Ist das nicht ’ne Ladung fauliger Seetang?«
    Leon verzog das Gesicht und nickte.
    »Aber sie hatte schon immer ’nen schrägen Sinn für Humor, meine Lucy«, erzählte Simmonds und rammte seine Gabel in die Bordwand. Leon zuckte zusammen. »Sieht ihr ähnlich, mir so eine Botschaft zu schicken. Verdammt guter Witz. Haben oft genug diskutiert, ob’s wirklich Aliens gibt, haha.«
    Das erklärte einiges. »Kann ich Sie mal was fragen – was ist eigentlich mit Ihren Haaren passiert? Hatten Sie Krebs?«
    »Noch nicht«, sagte Simmonds und spuckte über die Bordwand. »Hab früher mal in ’nem Chemiewerk gearbeitet. Tja, da ist leider was schiefgegangen. Hab auch Geld bekommen deswegen, hat gerade so gereicht, um den Kahn hier zu bezahlen.«
    Leon war so entsetzt, dass er Simmonds einen Moment lang nur stumm anstarren konnte. Dann war die Gelegenheit, nachzufragen, auch schon vorbei, Simmonds schob Leon die leeren Teller zu und stand auf. Auf der Suche nach einer Möglichkeit, das Geschirr abzuwaschen, stieg Leon in die Kajüte unter Deck hinunter. Dämmrig war es dort unten, und es roch nach Katze, dreckigen Socken und Stoff, der feucht geworden war und jetzt vor sich hin schimmelte. Simmonds’ Wohnraum bestand aus einer Sitzbank, einem winzigen Herd mit einer Spüle daneben und einer Koje, über die eine schmuddelige Decke gebreitet war. Fasziniert sah Leon, dass in einer Ecke der Kajüte mindestens zweihundert Dosen Katzenfutter gestapelt waren. Chili hatte anscheinend sehr genaue Vorstellungen davon, was für ihn die richtige Ernährung war.
    Während Leon versuchte, dem Boiler über der Spüle heißes Wasser für den Abwasch zu entlocken, dachte er darüber nach, wo er sich von Simmonds hinbringen lassen sollte. Er hatte keine Ahnung, wohin er eigentlich wollte.
    Seine Gedanken eilten zu Lucy, und wortlos tauschten sie einen Moment lang Bilder aus, mögliche Ziele, und konnten sich doch nicht einigen. Ihr Ziel war ihnen auf dem Weg verloren gegangen, und jetzt ging es nur noch darum, frei zu bleiben.
    Doch dann leuchtete eine Erinnerung in Leon auf, die Erinnerung an seinen letzten Sommerurlaub mit Tim … Kajakfahren in der Kealakekua Bay an der Westküste von Big Island, während Ostpazifische Delfine um sie herum durchs Wasser glitten. Und an den alten hawaiianischen Tempel ganz in der Nähe, dem Pu ’ uhonua o Honaunau. Er war ein Ort der Zuflucht, und das schon seit über fünfhundert Jahren. Eine junge Hawaiianerin hatte ihnen seine Geschichte erzählt, Leon erinnerte sich noch genau daran. »Vieles, vieles war tabu im alten Hawaii. Kapu – verboten – war zum Beispiel, dass Männer und Frauen zusammen aßen oder dass ein Mensch mit niedrigem Rang sich einem Anführer näherte«, hatte die Frau gesagt. »Wer ein Verbot brach, wurde zum Tode verurteilt, manchmal wurde sogar die ganze Familie getötet, denn die Hawaiianer glaubten, dass die Götter sonst als Strafe Flutwellen und Erdbeben schicken. Eine einzige Möglichkeit, sich zu retten, gab es für denjenigen, der die Übertretung begangen hatte – wenn er es schaffte, zu einem Pu’uhonua , einem Ort der Zuflucht, zu gelangen, dann war er in Sicherheit, und nachdem er dort die vorgeschriebenen Rituale vollzogen hatte, konnte er nach Hause zurückkehren, als sei nichts geschehen.«
    Nach Hause zurückkehren, als sei nichts geschehen . Der Satz brannte in Leons Herz. Das Kapu -System war längst abgeschafft worden, und für ihn – den haole , den Weißen – hätte es ohnehin nicht gegolten. Doch genau diese palmengesäumte Bucht war es, zu der er zurückkehren wollte.
    Leon ging wieder an Deck. Jonah Simmonds hatte den Autopiloten ausgeschaltet und stand am Steuerrad.
    »Könnten Sie mich am Pu’uhonua o Honaunau absetzen?«, fragte Leon. »Sie wissen schon, an der Kona-Küste, in der Nähe von Kealakekua.« In seinem ersten Jahr auf den Hawaii-Inseln hatte er sich diese Namen nicht einmal merken, geschweige denn sie aussprechen können, doch inzwischen gingen Leon die weichen Vokale glatt von der Zunge.
    »Soso«, sagte Simmonds und schob seine Basecap in den Nacken. »Dahin willste also. Ja, kann ich machen.«
    Gähnend nickte Leon. Er war so erschöpft, dass er kaum noch klar denken konnte.
    »Kannst dich in der Kajüte hinhauen – dauert eh

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