Ruf Der Tiefe
Entnahmezeitpunkt muss diskutiert werden. Okay, das war’s. Hast du alles?«
»Äh, ja«, sagte Carima und fügte hastig hinzu: »Wo kann ich dich erreichen? Um dir zu sagen, was ich herausgefunden habe?«
»Hm, ich bin hier sehr schlecht zu erreichen. Es ist … ziemlich seltsam hier, und … ich weiß noch nicht genau, ob das hier lauter Irre sind oder nicht … Wahrscheinlich ist es das Beste, wenn ich dich in zwei Stunden noch mal anrufe, reicht dir das?«
Zwei Stunden? Meinte er das ernst? In zwei Stunden sollte sie herausfinden, was das alles bedeutete? Und was redete er da von irgendwelchen Irren? »Du bist aber nicht etwa in irgendeiner Anstalt gelandet oder so?«
Ein kurzes Lachen. »Jedenfalls ist es keine geschlossene, hier laufen alle frei herum. Aber sie verlassen das Tal nicht, glaube ich. Und das Telefon in meiner Hand ist vermutlich das einzige in zehn Kilometer Umkreis. Die Leute hier halten nicht viel von Kommunikation.«
Wow, das klang wirklich ein bisschen irre. Aber wo war er jetzt genau und warum hatte er überhaupt fliehen müssen? Doch bevor sie fragen konnte, sprach er schon weiter. »Irgendwie wusste ich, dass du mich nicht im Stich lassen würdest. Komisch, was?«
Carimas Herz geriet aus dem Takt. »Komisch, ja«, sagte sie und musste plötzlich lächeln. »Wie hast du das erraten?«
»Ich weiß nicht. Nur so ein Gefühl.«
Freizeichen. Er hatte aufgelegt.
»He, du sollst dich auskurieren, nicht die ganze Zeit im Internet surfen!« Jetzt war es ihrer Mutter doch noch aufgefallen, dass Carima sich im Bett aufgesetzt hatte. Nathalie Willberg stand mit vorwurfsvollem Blick an der Terrassentür. »Wie geht’s deinem Magen?«
»Ein bisschen besser«, erwiderte Carima und tat ihr Bestes, um leidend auszusehen. Hängende Mundwinkel, matter Blick, das volle Programm. Hoffentlich verzog sich ihre Mutter bald wieder. Carima hatte auf den Homepages diverser amerikanischer Unis vier mögliche Interviewkandidaten, alle Biologieprofessoren, ausfindig gemacht, und jetzt musste sie dringend anfangen, die anzurufen.
»Trotzdem, du solltest eine Runde schlafen. Meinst du, ich soll versuchen, für morgen einen Flug zu kriegen?«
»Nee, lieber nicht.« Carima drehte sich auf die Seite und schloss gehorsam die Augen. Unter dem Kopfkissen krampften sich ihre Finger um ihr Handy.
»Ich bin jetzt einfach mal eine Rabenmutter und springe ganz kurz in den Pool«, kündigte ihre Mutter an. »Wenn irgendwas ist, ich nehme mein Handy mit, ruf mich einfach an, okay?«
Eine Rabenmutter war jetzt genau das Richtige. Nathalie Willberg war kaum aus der Tür, da glitten Carimas Finger schon über die Tasten ihres Handys. Der erste Biologieprofessor war nicht da, der zweite sagte, sie solle in seine Sprechstunde kommen, der dritte meinte, sein Gebiet sei ein ganz anderes und er könne ihr leider nicht weiterhelfen. Erst der vierte klang freundlich-interessiert. »Hm, ich weiß ja nicht, aus welchem Labor diese Daten stammen, doch das Ganze hat eindeutig etwas mit Stammzellen zu tun. Ist zwar nicht mein Forschungsbereich, aber vielleicht kann ich Ihnen doch ein paar Sachen dazu sagen. Wissen Sie, was Stammzellen sind?«
»Ich fürchte, nein«, gestand Carima. In Bio war sie noch nie eine Leuchte gewesen.
»Gewöhnlich findet man sie in Embryos«, bekam sie zur Auskunft. »Sie können sich noch zu den unterschiedlichen Zelltypen weiterentwickeln, zum Beispiel zu Nerven-, Muskel- und Blutzellen. Sie sind sehr wertvoll, weil man alles Mögliche aus ihnen züchten kann. Ersatzorgane für Kranke sind bereits …«
Die Tür klapperte. »Ah, das war richtig erfrischend.« Ihre Mutter war zurück, jetzt schon!
»Moment bitte«, flüsterte Carima in ihr Handy, ließ das angeschaltete Gerät in die Tasche ihrer Jogginghose gleiten und kroch aus dem Bett.
»Cari-Schatz, hast du schon deine Medizin genommen?«
»Mach ich gleich noch!«, sagte Carima. Oh Mann, hoffentlich hatte das der Professor nicht durch ihre Hosentasche hindurch gehört.
»Soll ich dir eine Gemüsebrühe …«
»Nein!« Carima knallte die Badezimmertür zu, verriegelte sie und kauerte sich auf den Badewannenrand. Der Empfang war mies hier und außerdem klang der Professor inzwischen misstrauisch. »Für welche Zeitung arbeiten Sie noch einmal, sagten Sie?«
» Süddeutsche Zeitung – Germany, you know?« Das Lügen fiel ihr immer leichter, anscheinend bekam man Übung darin. »Sie müssen entschuldigen, ich bin gerade krankgemeldet und arbeite
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