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Ruf der Toten

Ruf der Toten

Titel: Ruf der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
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Bretterverschlag einige Leute versammelt hatten. Als sie näher kamen, entdeckte Paula eine schmutzige Leuchtreklame auf dem Wellblechdach, die den Verschlag als Imbiss auswies. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie seit ihrem Resteessen gestern Abend nichts mehr zu sich genommen hatte und ihr Magen schmerzhaft knurrte; zu sehr war sie damit beschäftigt gewesen, ihrem wahren Ich auf die Spur zu kommen.
    Der fettige Geruch weckte ihren Appetit, daran änderte auch die Hand voll abgerissener Gestalten nichts, die sich um den Imbiss scharten und krampfhaft an Bierflaschen klammerten, die einzige Stütze in ihrem ansonsten haltlosen Dasein.
    Der walrossartige Mann hinter der Theke schwenkte die Hand, kaum dass er sie zwischen den Bäumen ausmachte, und hoffnungsvoll dachte Paula schon, er habe sie erkannt. Die Enttäuschung war groß, als sie den Imbiss erreichten und er sagte: »Elmi, mein Freund, was treibt dich denn hierher?« Er musterte Paula und pfiff anerkennend. »Und heute bringst du sogar Gesellschaft mit, meine Herren.«
    »Das ist Paula, das ist mein Freund David«, stellte Elonard sie einander vor.
    Der Bulldozer hinter dem Tresen nickte. »Elmi ist mein Freund. Ich kannte ihn schon, als er noch in der Bank drüben am Eastend gearbeitet hat.«
    »Du hast in einer Bank gearbeitet?«, fragte Paula verwundert.
    Elonard sah zu Boden. Das Thema war ihm offenkundig unangenehm. David rieb sich den Bauch, dessen enormer Umfang darauf schließen ließ, dass er sein bester Kunde war – zumindest was das Essen betraf. »Mach dir nichts draus, Elmi redet nicht gerne drüber. Dabei sag ich ihm immer wieder: Du kannst nichts dafür.«
    »Was weißt du schon?«, knurrte Elonard.
    David schenkte ihnen ein breites Grinsen. »Ich weiß, dass ich die besten Bratwürste der Gegend habe.«
    »Womit du, verdammt noch mal, Recht hast!«, stimmte Elonard zu.
    »Das wusste Elmi schon damals, bevor…«
    »Genug davon!« Elonard zog ein finsteres Gesicht.
    »Entschuldige«, sagte David und fischte zwei Würste von seinem Bratrost, legte sie auf Toastscheiben und presste Ketchup aus einer Tube darüber, bevor er sie ihnen reichte. Elonard nahm eines der beiden Würstchen, während er etwas in seinen Bart brummte, was entfernt an »Danke« erinnerte, und machte kehrt.
    Paula rührte sich nicht. Sie sah die Wurst vor sich liegen, die einen verführerischen Geruch aussandte, aber sie traute sich nicht, danach zu greifen.
    »Elmi, warte, bevor ich es vergesse!«, rief David. »Deine Zeitungen!«
    »Zeitungen?«, wollte Paula wissen.
    »Altpapier«, erklärte David. »Dafür gibt’s ein paar Pennys bei der Sammlung.«
    Elonard kehrte zum Imbiss zurück, schnappte sich einen Stapel Zeitungen und brachte ihn zu seinem Einkaufswagen. Dort stand er und starrte Löcher in die Gegend, während er an seiner Wurst knabberte.
    »Was ist los, Lady, magst du meine Wurst nicht?« David blickte grimmig drein, als fasse er ihr Zögern als Beleidigung auf.
    »Tut mir Leid«, sagte sie verlegen. »Ich habe kein Geld.«
    David hob die Achseln und seine Miene hellte sich auf. »Kein Problem.« Er beugte sich verschwörerisch über die Theke, seine Wampe vereitelte allerdings einen durchschlagenden Erfolg dieser Bemühungen. Er warf einen schnellen Blick zu Elonard, der mit seinem Einkaufswagen ein Stück weiter stand und sie nicht hören konnte. Trotzdem sprach David leise: »Elmi hat nie auf den Penny geachtet, damals, als er noch in der Bank arbeitete. In der Mittagspause kam er immer zu mir, weil’s bei mir die besten Bratwürste in ganz London gab. Er hatte immer ein paar Penny für mich übrig, bezahlte immer mehr, als er eigentlich musste. Das habe ich nicht vergessen. Natürlich kann ich ihm nicht aus seiner Patsche helfen… Muss selbst sehen, wie ich über die Runden komme, seit sie den Walmart unten an der Church Row eröffnet haben. Dort gibt es diesen ganzen neumodischen Kram, Tacos, Döner, Schawarma – was ist das schon gegen eine gute Bratwurst? Find ich. Aber die Leute stehn drauf, seitdem läuft’s mit meinem Imbiss auch nicht mehr wie früher…« Er nickte in Richtung der abgerissenen Gestalten ums Eck. »Man muss halt nehmen, was kommt. Ist alles nicht mehr, wie’s mal war. Aber ‘ne Wurst habe ich immer für Elmi übrig. Ich sag mir, wenn er schon die Nacht in dieser Herrgottskälte verbringen muss, soll er wenigstens was Warmes im Magen haben.«
    Er zog seinen Oberkörper zurück in sein stinkendes Kabuff, fischte aus einer

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