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Ruf der verlorenen Seelen

Ruf der verlorenen Seelen

Titel: Ruf der verlorenen Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Derting Kimberly
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holte sie ihr Handy heraus und traf eine Verabredung,
die sie für undenkbar gehalten hätte. Mit jemandem, von dem
sie nie gedacht hätte, dass sie ihn je anrufen würde.

    Rafe war schon da, und zum ersten Mal, seit Violet ihn kennengelernt
hatte, wirkte er locker. Sie sah ihn, bevor er sie entdeckte,
und beobachtete ihn durchs Fenster. Die pechschwarzen
Haare fielen ihm ins Gesicht. Er lehnte sich auf dem wackligen
Bistrostuhl zurück, die Arme vor der Brust verschränkt,
den Kopf gesenkt. Er war es gewohnt, nicht aufzufallen.
    Schon als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte, war ihr aufgefallen,
dass er auf undefinierbare Weise anders war. Als ob er
nicht dazugehörte und seinen Platz in der Welt nicht so recht
finden könnte.
    Genau wie sie.
    Bei dem Gedanken wurde ihr unbehaglich. Die Vorstellung,
dass sie nicht dazugehörte, gefiel ihr nicht, obwohl sie schon oft
darüber nachgedacht hatte.
    Er hatte den Treffpunkt ausgesucht, ein kleines Café in
Seattle. Es lag zwischen den belebten Straßen mit den roten
Backsteinhäusern am Pioneer Square, einem Viertel mit vielen
Kunstgalerien, Restaurants und Antiquitätengeschäften.
Gleichzeitig war es die bevorzugte Gegend der Obdachlosen.
    Violet ging hinein, ihre Schritte hallten auf den Holzdielen.
    Kaffeeduft lag in der Luft.
    Rafe blickte auf und sah sie. Als er nicht lächelte, überhaupt
nicht reagierte, war Violet enttäuscht. Sie wunderte sich über
sich selbst. Was hatte sie erwartet?
    Sie hatte Angst, dass es ein Fehler gewesen war, ihn anzurufen.
    Â»Hi«, sagte sie nervös und setzte sich ihm gegenüber.
    Er hob das Kinn zu einem kleinen Nicken und schaute sie reserviert
an. Er hatte schon bestellt, der Kaffee vor ihm dampfte.
    Â»Danke, dass du gekommen bist. Ich weiß, es war etwas kurzfristig.
«
    Er zuckte die Achseln und räusperte sich. Wie immer sprach
er gedämpft. »Ich war ziemlich überrascht.«
    Genauso ging es Violet auch. »Du hast mir doch deine
Nummer gegeben.« Sie schaute ihn herausfordernd an, wusste
jedoch nicht, was sie noch sagen sollte. Jetzt, wo sie hier saß,
kam sie sich blöd vor. »Ich hab gehofft, wir könnten vielleicht
reden … und du könntest mir ein paar Fragen beantworten.«
    Er schaute nach unten, als könnte er ihrem Blick nicht standhalten.
»Du hast recht. Ich hab dir meine Nummer gegeben.
    Es ist nur … Ich bin nicht so gut im Reden. Sara kann das viel
besser.« Da schaute er sie wieder an, und abermals war sie überrascht,
wie intensiv sein Blick war. »Ich weiß nicht, ob es so eine
gute Idee war, ausgerechnet mich anzurufen.«
    Violet schüttelte den Kopf, widersprach jedoch nicht. Sie
konnte die Mauern, die er um sich errichtete, förmlich sehen.
    Â»Wenn du möchtest, kann ich Sara anrufen und einen Termin
für dich verabreden, aber ich glaub nicht, dass ich …« – er
zeigte auf sie, dann auf sich selbst und zuckte die Schultern –
»das hier kann.«
    Violet antwortete nicht; es kam ihr auf einmal idiotisch vor,
dass sie überhaupt gedacht hatte, sie könnte mit Rafe reden.
Ihre Augen brannten und sie blinzelte. Wie konnte sie sich nur
einbilden, zwischen ihnen gäbe es eine Art Verbindung? Sie
war immer noch so nah am Wasser gebaut, und sie wollte auf
keinen Fall vor ihm losheulen – das wäre wirklich zu peinlich.
    Sie schob den Stuhl so hastig zurück, dass er fast umkippte,
und wollte verschwinden.
    Doch bevor sie sich umdrehen konnte, hielt Rafe sie fest.
    Violet zuckte zusammen, es war, als würde ein elektrischer
Schlag ihr den Arm hinauffahren. Sie zog die Hand zurück
und legte sie auf ihr wild klopfendes Herz.
    Â»'tschuldigung«, murmelte er und sah genauso verwirrt aus
wie sie. Er machte die Faust auf und zu, und Violet sah, dass er
die Fingernägel mit Filzstift angemalt hatte. Er schaute sie an.
    Â»Hör mal, Violet, ich wollte dich nicht kränken. Bitte geh nicht.
Noch nicht.«
    Sie zögerte, überlegte, was sie tun sollte. Er wirkte aufrichtig.
Schließlich zog sie den Stuhl wieder an den Tisch und setzte
sich. Aber jetzt war sie diejenige, die misstrauisch guckte.
    Er lächelte, ein hintersinniges Lächeln. Es stand ihm gut.
    Â»Ich hab dir ja gesagt, dass ich so was nicht gut kann.«
    So einfach wollte Violet ihn nicht davonkommen lassen.
    Â»Das ist leicht untertrieben.«
    Â»Können wir noch mal von vorn anfangen?

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