Ruf der verlorenen Seelen
Violet in den Flur,
um zu sehen, ob die Tür wieder zugegangen war. Sie dachte
schon, Megan würde die Frage ignorieren, aber dann sagte sie
in demselben genervten Ton: »Macht er doch nie, oder?«
28. Kapitel
Violet erschrak, als sie von hinten gepackt und hochgehoben
wurde.
Sie wusste sofort, dass es Jay war, sie erkannte ihn an seinem
rauen Lachen. Zusammen landeten sie in einem weichen
Schneehaufen. Als sie ihm beim Fallen ihre Schulter in die
Brust stieÃ, zog er die Luft ein, doch er lächelte.
»Hab ich dir wehgetan?«, fragte sie und lachte über sein
Grinsen. Sie liebte diesen treuherzigen, leicht selbstherrlichen
Blick. Hoffentlich änderte sich das nie.
»Komm her, dann zeig ich's dir.« Er wischte ihr eine verirrte
Schneeflocke aus den Wimpern.
Als sie ihre Sachen abgeladen und beschlossen hatten rauszugehen,
hatte es leicht angefangen zu schneien. Mike hatte
seine Schwester aufgefordert, mit rauszukommen, aber sie
hatte nicht mal geantwortet. Also gingen sie zu fünft auf Erkundungstour.
Von der Hütte selbst war Violet zwar nicht so begeistert, die
Lage war jedoch einzigartig. Ganz einsam, hoch in den Bergen,
vor einer ruhigen Kulisse aus Bäumen, die mit dem glitzernden
Schnee einfach atemberaubend aussah.
Sie blieben über eine Stunde drauÃen, ohne sich an der Kälte
zu stören, so schön war es.
Claire hatte versucht, Mannschaften für die Schneeballschlacht
zu bilden, Jungs gegen Mädchen, aber es wurde eher
ein Jeder-gegen-jeden und schon bald verteidigte Jay Violet
gegen Chelsea und Chelsea schützte Mike vor Jay. Claire blieb
neutral und versuchte Regeln aufzustellen, damit die Schlacht
nicht völlig ausartete. Bis sie schlieÃlich aufgab und sich ein
ruhiges Plätzchen suchte, wo sie Engel in den Schnee machen
konnte.
Später machten Chelsea und Violet mit, und es wurde einstimmig
beschlossen, dass Chelseas Engel überhaupt nicht
engelhaft waren und umbenannt werden mussten. So wurden
Schneeteufel geboren. Sie bekamen sogar kleine Hörner auf
den Kopf.
Aber jetzt war Violet allein mit Jay, sie hatten ein paar Minuten
für sich, und Violet genoss die Stille des schneebedeckten
Waldes.
Jays Lippen berührten ihre und in ihrem Innern wurde ein
Feuer entfacht.
Sie schloss die Augen und überlieà sich der Wärme, die von
ihrem Bauch ausströmte. Sie zog ihn an sich, wollte ihm so nah
wie möglich sein.
Da zerplatzte ein Schneeball auf ihren Köpfen und zerstörte
den romantischen Augenblick. Schnee tropfte ihnen über die
Gesichter.
Jay bedeckte Violets Kopf mit den Armen und guckte, wer
den Waffenstillstand gebrochen hatte.
»Bin gleich wieder da«, flüsterte er Violet zu. Er nahm eine
Handvoll Schnee, formte eine Kugel und lief schnell davon.
Violet hörte Chelsea und Claire kreischen.
Violet lag auf dem Rücken und schaute zu den schneebedeckten
Ãsten und Zweigen empor, die den herabrieselnden
Schnee siebten und nur wenig von dem Licht durchlieÃen, das
den grauen, verhangenen Himmel zu durchdringen versuchte.
Es dämmerte noch nicht, doch die niedrige Wolkendecke verdunkelte
sich bereits und drohte das letzte bisschen Tageslicht
auszulöschen.
Violet blinzelte, als zarte Schneeflocken auf ihr Gesicht fielen,
und atmete tief die frische Luft ein. Sie hörte, wie sich Jay
und Mike in der Ferne mit Schneebällen bombardierten, ihr
Gelächter schallte durch die Stille.
Fast hätte sie das Ziehen aus der anderen Richtung ignorieren
können. Sie versuchte es, schloss die Augen und tat so, als
würde sie es gar nicht registrieren. Doch es drängte sich unter
ihre Haut, bis es überall kribbelte und sie die geheimnisvolle
Anziehungskraft nicht länger ignorieren konnte.
Es war das Echo der Toten, das sie rief.
Langsam richtete sie sich auf, immer noch unschlüssig â als
hätte sie überhaupt eine Wahl â, und wischte sich den Schnee
vom Rücken. Sie schaute sich um, niemand beobachtete sie. Keiner sollte sehen, wie sie in den Wald schlich, um das zu suchen,
was gefunden werden wollte â nein, musste.
Vor Kälte begann ihr Nacken zu schmerzen und sie zitterte,
zog die Schultern hoch, versuchte, Wärme aus sich selbst zu
schöpfen.
Hier unter den schattigen Ãsten war es dunkler als auf dem
offenen Feld, wo sie die Schneeballschlacht veranstaltet hatten,
und ganz kurz fürchtete sie, sich zu verlaufen, während sie
immer tiefer in
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