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Ruf der verlorenen Seelen

Ruf der verlorenen Seelen

Titel: Ruf der verlorenen Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Derting Kimberly
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den Wald ging.
    Das war nicht ihr Wald, in dem sie sich so gut auskannte.
Wenn sie sich hier verlief und niemand sie fand, könnte sie
stundenlang umherirren, ohne auf etwas Vertrautes zu stoßen,
das sie zurückführen würde.
    Aber sie hatte ja den Schnee.
    Und solange die Äste die neuen Flocken aufhielten, konnte
sie nachher einfach ihre eigenen Spuren zurückverfolgen.
    An diese Hoffnung klammerte sie sich, während sie alle Vernunft
fahren ließ und ihrem inneren Drang folgte. Sie musste
das Echo im Wald aufspüren.
    Es war mühsam, durch den hohen Schnee zu stapfen. Die
Füße wurden ihr schwer, ihre Beine brannten. Und schon bald
tat ihr vor Anstrengung auch der Kopf weh.
    Die Haut ihrer Wangen fühlte sich hohl und trocken an, ihre
Augen brannten von der eisigen Luft, die sich hier noch kälter
anfühlte. Sie konnte nur noch schwer atmen. Mit jedem Schritt
wurde der Schmerz heftiger. Doch unter der Schädeldecke
spürte sie das Vibrieren des Echos, das sie weiterzog.
    Sie blinzelte, versuchte sich gegen die Messer zu wehren, die
ihr in die Kopfhaut, in die Stirn und in die Augen zu stechen
schienen.
    Das ist das Echo , begriff sie plötzlich, dieser furchtbare
Schmerz. Das Echo machte sie fast blind, und doch musste sie
es finden. Sie kam nicht dagegen an.
    So stellte Violet sich den Wahnsinn vor. Aber sie war machtlos
dagegen. Das, was da lag, brauchte sie.
    An die Kälte dachte sie nicht mehr, ihr Kopf tat so weh, dass
sie ihren Körper kaum wahrnahm. Sie war sich nicht sicher, ob
sie die Kälte überhaupt noch spüren konnte, und sie wusste,
dass das gefährlich war.
    Und dann sickerte eine Ahnung durch ihr Unbehagen, und
auf einmal wusste sie, dass sie die Quelle des Echos gefunden
hatte. Die Leiche, nach der sie gesucht hatte. Sie war genau dort
begraben, wo Violet jetzt stand. Sie war erleichtert wie noch nie
in ihrem Leben. Als hätte die Qual dadurch, dass sie dem toten
Wesen ganz nah war, auf einmal ein Ende.
    Sie konnte wieder atmen. Frei. Fast euphorisch.
    Violet kniete sich hin und seufzte, genoss das schwindelerregende
Gefühl, das sie durchströmte.
    Doch sie hatte keine Zeit zu verlieren. Mit den Handschuhen
grub sie sich durch die weiche Schneedecke. Sie schaufelte
schnell und schon bald war neben ihr ein Schneehaufen entstanden.
Der tiefer liegende Schnee war harsch, sie durchbrach
dünne Eisschichten und schaufelte auch die beiseite.
    Sie ging gewissenhaft vor und von der Anstrengung wurde
ihr warm. Sie vergaß den Kopfschmerz, der immer noch dumpf
in ihrem Hirn lauerte und ihr Denken vernebelte.
    Es war ein Gefühl, als wäre sie high. Berauscht von dem Echo.
    In diesem Zustand der Verwirrung fiel es ihr umso leichter,
sich auf ihre Aufgabe zu konzentrieren.
    Erst als ihre Hände festen Boden berührten, wurde ihr klar,
dass all ihre Mühen vergebens waren. Die Erde war nicht
weich, sie konnte nicht mit den Händen darin graben. Sie war
nicht nur hart, sie war gefroren, undurchdringlich.
    Es hatte keinen Sinn. Was auch darunter lag, es war unerreichbar.
    So fand Jay sie – wie sie im Schnee kniete und durch den
    Nebel ihrer Gedanken überlegte, was sie als Nächstes tun sollte.
    Wie sie dieses Problem lösen könnte.
    Â»Mensch, Violet. Hast du nicht gehört, wie wir dich gerufen
haben? Du hast mir einen Riesenschreck eingejagt.« Jay reichte
ihr die Hand.
    Violet starrte darauf, sie konnte die Geste nicht einordnen.
    Was will er von mir? , fragte sie sich verträumt.
    Â»Willst du nicht aufstehen?«, fragte er, beugte sich zu ihr
herab und nahm ihre Hände. Er zog sie hoch.
    Das Klingeln in ihrem Kopf wurde lauter.
    Jay schaute auf den Boden, auf die Schneehaufen um ihre
Füße, dann in ihr verwirrtes Gesicht.
    Als er begriff, zog er die Brauen zusammen. »Hast du etwas
erspürt?«, fragte er leise.
    Violet nickte. So viel wusste sie.
    Â»Wir können hier nicht bleiben, Vi. Die kommen gleich alle.
    Sie suchen dich. Nachdem wir deine Spuren im Schnee entdeckt
hatten, war es nicht mehr schwer, dich zu finden. Sie sind
direkt hinter mir.« Jay legte einen Arm um sie und zog sie an
sich. Er trat schnell gegen die Schneehaufen, damit sie nicht
mehr so auffielen. »Komm, wir laufen zurück. Wir fangen sie
ab, bevor sie herkommen und Fragen stellen.«
    Sie ließ sich führen, obwohl der Schmerz wieder stärker
wurde, je weiter sie sich von der Stelle entfernten. Das

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