Ruf des Blutes 1 - Tochter der Dunkelheit (German Edition)
selbst und für den Rest der Welt. Wir brauchen nicht noch so eine Bestie wie ihn.“
„Wird sie …?“ Die Frage hing unausgesprochen im Raum. Sophie wagte nicht, sie zu stellen. Melissa wimmerte leise in Lemains Armen. Er blickte mit einer Mischung aus Abscheu und tiefstem Mitleid auf sie herab.
„Ich weiß es nicht, Sophie“, sagte er matt. „Aber ich muss wieder gut machen, was einer der unseren ihr angetan hat.“
„Und wenn du sie dadursch zu einer von uns machst?“, flüsterte sie angstvoll, „Armand wird …“
Lemain schnitt ihr das Wort ab. Sie hatte ihn geholt, damit er half. Nun würde er helfen. „Auch Armand wird es lieber sein, wenn ich sie zum Vampir mache, als sie sterben zu lassen. Und abgesehen davon, ist das Risiko kalkulierbar.“
„Isch will nicht daran teil`aben“, sagte Sophie plötzlich entschlossen.
„Dann geh hinaus, wenn dir das lieber ist“, zischte er sie an. „Aber du hast mich gerufen, damit ich ihr helfe, und ich werde sie nicht sterben lassen!“
Ich spürte, wie sich etwas gegen meinen Mund presste und begehrte mit meiner ganzen, aber zusehends schwindenden, Kraft dagegen auf.
„Trink!“, hörte ich den Befehl. Die Stimme kam mir seltsam vertraut vor. Ich fühlte mich von starken Armen gehalten. Liebevoll geborgen. „Trink“, sagte die Stimme noch einmal sanfter. Ich gehorchte und trank. Süß und dickflüssig und würzig – wie wilder Honig. Und warm, so warm! Ach, es tat so gut, wie dieser Nektar meinen Mund füllte und durch meine Kehle floss. Der Quell wollte nicht versiegen. Ich trank und trank soviel ich konnte. Eine Ewigkeit lang. Bis mich eine liebevolle Dunkelheit umfing. Ohne Schmerzen und ohne Träume.
Als ich wieder erwachte, war Lemain das erste, was ich sah. Er saß in einem altmodischen Korbsessel neben dem Bett und beobachtete mich. Instinktiv wich ich zurück.
„Keine Angst, ich werde dir nichts tun. Du bist bei Freunden und in Sicherheit.“ Bei Freunden? In Sicherheit? Wie konnte ich in seiner Nähe in Sicherheit sein? Ich traute ihm nicht die Spur. Nach den Nächten bei Dracon noch viel weniger. „Ich kann dir dein Misstrauen nicht verübeln. Aber Sophie wirst du hoffentlich noch dein Vertrauen schenken. Du bist in ihrem Haus. Sie fand dich und brachte dich her. Mehr tot als lebendig. Aber jetzt bist du auf dem Wege der Besserung. Das ist die gute Nachricht.“
Ich blickte an mir herunter. Ich war nackt. Auf meiner Haut waren keine Wunden oder Blutergüsse mehr zu sehen. Vorsichtig betastete ich meine Rippen – kein Schmerz. Ich drehte das Handgelenk – der Bruch war komplett verheilt. Lemain sagte die Wahrheit. Ich war auf dem Wege der Besserung. Um nicht zu sagen, praktisch genesen.
„Und was ist die schlechte?“
Er seufzte leise und ließ resigniert die Schultern sinken. Eine Geste, die ich von ihm nicht kannte und die ich ihm auch nie zugetraut hätte. Sein Blick bat mich um Verzeihung. Was war passiert?
„Wie ich schon sagte, du warst mehr tot als lebendig. Sophie wusste, dass kein menschlicher Arzt etwas für dich tun konnte, also hat sie nach mir gerufen. Als ich dich sah, war mir klar, dass du kaum mehr den nächsten Tag überstehen würdest. Ich wusste nicht, was ich sonst hätte tun sollen und ich hätte es mir nie verziehen, dich sterben zu lassen. Also ließ ich dich trinken, bis dein Körper genug hatte, um zu heilen.“
„Du hast mich zum Vampir gemacht!“
„Nein, du bist immer noch sterblich. Doch du hast mehr getrunken, als gut für dich war.“ Hitze stieg in mein Gesicht vor Erleichterung. Ich war noch immer kein Vampir! „Du hattest zuviel Blut verloren. Der dir das angetan hat, hat sehr viel von dir getrunken. Und deine Verletzungen taten ein übriges. Ich musste dir mehr geben, als ich verantworten konnte. Und es war kaum mehr genug von deinem eigenen Blut übrig, um dich am Leben zu halten. Also hat sich das Vampirblut nicht mit dem deinen gemischt, wie es beim kleinen Trunk geschieht, sondern es hat einen großen Teil deines eigenen Blutes ersetzt.“ Er ließ die Worteeinen Moment auf mich wirken, bevor er fortfuhr. „Es beginnt bereits, deinen Körper zu verändern. Die Würfel sind gefallen. Für dich gibt es jetzt kein Zurück mehr. Aber es könnte schließlich schlimmer sein.“
„Schlimmer? Was bitte könnte noch schlimmer sein als das?“ Ich streckte meine Hände aus und betrachtete sie mit dem Wissen, das mehr vampirisches als menschliches Blut in ihnen floss.
„Wie gesagt, du
Weitere Kostenlose Bücher