Ruf des Blutes 1 - Tochter der Dunkelheit (German Edition)
bist noch sterblich. Also besteht immer noch die Möglichkeit, dass Armand derjenige sein wird, der dich verwandelt. Und diese Vorstellung dürfte dir wohl weitaus angenehmer sein, als mich zum Dunklen Vater zu haben.“ Er lächelte spöttisch, als er das Entsetzen in meinen Augen sah. „Natürlich“, fuhr er fort, „wirst du es noch eine Weile hinauszögern können. Wenn du Armand dazu bringen kannst, dir oft genug den kleinen Trunk zu gewähren. Aber du bist jetzt ein Halbwesen, Melissa. Schon halb Vampir und doch noch halb Mensch. Wenn du mich fragst, ist dieses Stadium der Hölle noch viel qualvoller als das unsere.“ Leise fügte er hinzu: „Es tut mir leid.“
Seine Worte trafen mich ebenso tief wie sein ehrliches Bedauern. Ich brauchte eine Weile, um mich wieder zu fangen. „Es braucht dir nicht leid zu tun, Lemain. Du wolltest nur helfen.“
Er sagte nichts, sah mich aber auch nicht an.
„Göttin, was soll ich jetzt nur tun?“
Ich stellte die Frage mehr mir selbst und höchstens noch Osira.
„Ich weiß es nicht, Melissa. Wenn du mich darum bittest, werde ich dir nicht verwehren, dich zu verwandeln. Vielleicht die einfachste Lösung. Doch es liegt bei dir.“ Ich schüttelte den Kopf. Nein, ich wollte nicht. Ich wollte niemals so werden. Ich hatte es schon einmal geschafft, mich von der Sucht zu befreien. Ich würde es wieder schaffen. Lemain seufzte tief. „Vielleicht gibt es einen von uns, der dir helfen kann. Er ist der Älteste unseres Clans. Der Lord. Du solltest zu ihm gehen.“ Verständnislos blickte ich ihn an. „Sein Name ist Lucien. Er ist über fünftausend Jahre alt. Wenn es noch einen Weg gibt, das hier rückgängig zu machen, dann wird er ihn kennen.“
Ich musste lachen. Ein Lachen so bitter wie Galle. „Wenn er nicht genau dasselbe mit mir tut wie Dracon und du.“
Ein gekränkter Ausdruck trat auf Lemains Gesicht. „Ich wäre dir dankbar, wenn du mich nicht mit ihm auf eine Stufe stellen würdest. Auch wenn wir nicht gerade einen guten Anfang hatten. Dracon ist selbst in meinen Augen ein Teufel, der die Wandlung besser nicht überlebt hätte. Er hat dir das angetan?“ Es war halb Frage, halb Feststellung.
„Jedenfalls war das sein Name. Und wenn selbst du ihn Teufel nennst, dann könnte es sehr gut sein, dass wir von demselben Geschöpf sprechen. Auch er sprach von Armand und von Rache und einer alten Schuld. Sieht so aus, als ob es äußerst gefährlich ist, mit Armand befreundet zu sein.“
„Armands Sohn nahm Dracon den Gefährten, und Dracon tötete sie beide. Aber dass er deswegen noch immer auf Rache sinnt, hätte ich nicht gedacht.“
„Es hat sich jedenfalls verdammt nach Rache angefühlt.“
„Wie dem auch sei“, wechselte Lemain wieder das Thema. „Ich versichere dir, dass Lucien dir nichts tun wird. Für ihn sind die Gesetze heilig, und du gehörst Armand.“
„Von welchen Gesetzen sprichst du?“
„Unsere Gesetze. Auch wir haben Regeln, einen Ehrenkodex. Wie die Ashera. Wir halten uns daran. Außer Dracon. Ihn kümmert keine Regel.“
Ich verbiss mir die Bemerkung, dass auch er selbst diesen Gesetze zuwider gehandelt hatte, denn als er mich nahm, bestand Armands Anspruch auf mich bereits. „Schlimmer als jetzt kann es kaum werden. Wann kannst du mich zu ihm bringen?“
„Wenn du wieder völlig gesund bist. Vermutlich in drei oder vier Tagen. Ruh dich aus. Sophie hat ein Dienstmädchen organisiert, das sich tagsüber um dich kümmert. Ich werde dich jetzt verlassen, denn ich bin mir durchaus darüber im Klaren, dass du meine Gegenwart nicht schätzt. Ich komme wieder, wenn du bereit bist.“
Sophies Dienstmädchen Yvette versorgte mich in den nächsten Tagen. Brachte mir Essen, half mir, ein Bad zu nehmen, besorgte mir Kleidung. Sophie wachte in den Nächten an meinem Bett, damit ich mich nicht so einsam fühlte. Also verlegte ich mich darauf, tagsüber viel zu schlafen, da Yvette ohnehin sehr wortkarg war. Wie leicht mir das fiel, beunruhigte mich. Die Wandlung schien tatsächlich voranzuschreiten. Ich hätte Sophies Blut daher am liebsten abgelehnt, aber ohne den kleinen Trunk ertrug ich keine vierundzwanzig Stunden. Mir blieb keine Wahl.
„Kennst du den Vampir – diesen Lucien – zu dem Lemain mich bringen will?“, fragte ich sie.
Sie schüttelte den Kopf. „Isch ’abe ihn nie kennen gelernt. Aber er ist Lemains Dunkler Vater. Und unser Lord.“
„Warum hat Lemain mir das Leben gerettet?“
„Weil du Armands Gefährtin bist.
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