Ruf des Blutes 1 - Tochter der Dunkelheit (German Edition)
Plötzlich flammte in der Dunkelheit ein Streichholz auf. Ich stieß vor Schreck einen leisen Schrei aus und wirbelte zu dieser neuen Lichtquelle herum. Die kleine Flamme entzündete gerade einen längeren Span. Der Feuerschein erhellte ein Gesicht. Ich blickte in dunkle blaue Augen, die mit Kohlestift kunstvoll umrahmt waren, was ihnen noch mehr Tiefe verlieh. Sie bildeten das Zentrum eines feingeschnittenen aristokratischen Antlitzes. Ein schmaler Bart umrundete die weichen, sinnlichen Lippen, die sich zu einem Lächeln kräuselten. Einen kurzen Augenblick sah der Vampir mich an. Dann begann er durch den Raum zu schreiten und die unzähligen Kerzen zu entzünden. Ich schaute ihm dabei zu, in ängstlicher Erwartung. Musterte ihn, um mir ein Bild zu machen, mit wem ich es zu tun hatte. Seine Hände fielen mir besonders auf, weil sie direkt von dem Feuerschein des Spans erhellt wurden. Schmale Hände mit glänzenden, gläsernen Fingernägeln. Am Ringfinger seiner linken Hand trug er einen schweren Silberring mit einem Rubin, wie ich ihn noch nie gesehen hatte. Lebendiges Blut schien in dem Stein zu pulsieren. Oder war es nur das Feuer, das er reflektierte? An der rechten Hand zierte ein massiver Wappenring aus dunklem Gelbgold den Mittel-finger. Die Gravur war so perfekt eingebracht, dass ich sie auch auf einige Schritt Entfernung schimmern sah, aber ich konnte nicht genau erkennen, was sie darstellte. Ein kleiner Saphir bildete einen zusätzlichen Blickfang.
„Verzeihung. Ich bin … “, begann ich mit kratziger Stimme.
„Melissa. Ich weiß. Ich habe dich mit Lemain gesehen, als er dich letzte Nacht brachte. Ich bin Lucien.“
Er trug weite nachtblaue Hosen und ein ebensolches Hemd, beides aus sehr feinem Stoff. Darüber einen weiten Umhang. Es erinnerte mich an einen Beduinen, den ich einmal auf einem Bild in einem Shopping-Center in Glasgow gesehen hatte. Das Einzige, was nicht so richtig passen wollte, waren seine unglaublich blauen Augen. Tief und dunkel wie der Ozean und strahlend wie tausend Sterne. In ihnen lag die Nacht. In all ihrer unvergänglichen Schönheit, mit all ihrem geheimnisvollen Schrecken. Der Blick aus diesen Augen erregte und ängstigte mich gleichermaßen vom ersten Moment an. Nervös rieb ich mir die Arme. Himmel, was tat ich bloß hier?
„Du kennst Lemain sehr gut?“ Was für eine blöde Frage, aber irgendwie musste ich ja anfangen.
„Er ist einer meiner Dunklen Söhne“, gab er kühl und gelassen zurück. So, als bedeutete es gar nichts. „Ich erlöste ihn aus der Sklaverei. Schenkte ihm die Freiheit und
el dam el aswad
. Das Dunkle Blut. Seither gehört er mir.“
Seine Haltung, seine Bewegung, die Art, wie er mich ansah – wahrlich ein Wüstenprinz! Dunkel, stolz und schön. Und sehr kalt. Das wurde mir mit jeder Sekunde bewusster. Seine allwissenden Augen blickten mich nachdenklich an, während er durch den Raum schritt und die Kerzen entzündete. Was er wohl über mich dachte? Wie viel er von mir wusste?
Mich fröstelte, weil ich zu weit vom Feuer weggegangen war. Die Wärme drang noch nicht bis hierher. Aber ich bezweifelte ohnehin, dass sie diese Art von Kälte vertreiben konnte. Dieser Vampir war mächtiger als alle anderen, denen ich bisher begegnet war. Ich durfte gar nicht daran denken, wozu er fähig war. Was er mir antun könnte, wenn er mir nicht wohlgesonnen war. Ich hatte Angst vor ihm und vor der unleugbaren Macht, die er ausstrahlte. Macht über Leben und Tod.
Mit einem Mal war er direkt vor mir, drückte mich an die Wand und ließ mir keinen Weg zur Flucht. Mein Herz blieb fast stehen, und ich konnte nicht mehr atmen. Ich blickte ihn starr vor Angst an und hatte meinen Tod bereits vor Augen. Göttin, er war riesig! Überragte mich um mehr als Haupteslänge. Ich musste meinen Kopf in den Nacken legen, um ihm in die Augen zu sehen. Dämonisch dunkle Augen mit einem tödlichen Feuer darin.
„Zeige – niemals – Angst – vor einem Vampir!“, herrschte er mich an. „Hat dein Liebster dir nicht beigebracht, dass Angst uns über die Maßen erregt? Es fordert uns geradezu heraus.“
Seine Stimme, seine funkelnden Augen, die blitzenden Fangzähne – all das trug nicht gerade dazu bei, meine Furcht verschwinden zu lassen. Und seine Haut. Porenlose, goldschimmernde Haut. Glatt wie Marmor. Überirdisch schön. Ich wurde benommen und hatte für einen Moment nur den einen sehnlichen Wunsch, diese glatte, kühle Haut zu berühren. Sie würde sich wie Wasser
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