Ruf des Blutes 2 - Engelstränen (German Edition)
erholen konnte. Ratten und anderes Getier huschten quiekend an mir vorbei. Ich strich einige Spinnweben beiseite. Froh darüber, dass deren Baumeister offenbar nicht anwesend waren. Neben Bergen von Schutt und Geröll rollte ich mich zusammen. Hätte Dracon sich entschlossen, mich in diesem Moment anzugreifen, ich wäre eine wehrlose Beute gewesen.
In der folgenden Nacht weckte mich ein angenehm süßer Duft. Ich öffnete verschlafen die Augen. Vor mir lag eine dunkelrote Blüte, die ein Aroma nach Himbeeren und Honig verströmte. Während ich im ersten Moment noch ihre Schönheit und Perfektion bewunderte, richtete ich mich im zweiten ruckartig auf. Die Blüte konnte nur eins bedeuten. Dracon war hier gewesen, während ich schlief. Sofort kontrollierte ich die Serumampullen. Sie waren noch alle da.
„Dachtest du, ich würde dich noch einmal bestehlen, Babe?“ Er lehnte lässig an einem Balken. In hautengen schwarzen Lederhosen und einem blutroten Hemd, das halb offen stand. Seine Augen funkelten bernsteinfarben. Offenbar ein Nebeneffekt des Serums. Wie viele Ampullen hatte er inzwischen getrunken?
„Nur zwei, wenn du es unbedingt wissen musst. Ich gehe sparsam damit um. Du brauchst dir also keine Sorgen um deinen kleinen Vorrat zu machen.“
„Du hast mich nicht angelogen mit deiner Nachricht.“
„Warum sollte ich das tun? Ich wusste, du würdest mich nicht aufhalten können. Hat sie dir gefallen?“
„Gefallen? Wer?“
„Na das blonde Püppchen. Sie war leicht zu manipulieren. Noch leichter als du.“
Ivanka? Ich keuchte vor ungläubigem Entsetzen. Sie war eine Falle gewesen. Verdammt, ich hätte es wissen müssen.
„Kleiner Trick. Ich hab sie als Postboten missbraucht. Sie hat das Kuvert einen Tag bei sich getragen und es kurz nach Sonnenuntergang durch die Lüftungsschlitze in das Schließfach gesteckt. Dadurch musstest du auf sie aufmerksam werden, weil deine übernatürlichen Sinne auf ihren Duft reagiert haben, der am Papier haftete. Da hat es einfach Klick gemacht, als du in der Bahnhofshalle in ihre Nähe gekommen bist.“ Ein freudloses Lachen war meine Antwort, das er mit einem gespielt bedauernden Blick quittierte.
„War sie wenigstens dein Geschmack?“ Als ich nicht antwortete, glitzerte es erstaunt und triumphierend zugleich in seinen Augen. „Oh-ho. Ich wusste zwar, dass du sie anknabbern würdest, aber sie gleich verwandeln? Wow!“
„Was hast du ihr gegeben, damit sie den Köder für mich spielt?“
Das Lachen schmolz zu einem Grinsen. Seine Zähne, besonders die langen Fänge, blitzten auf.
„Gar nichts, Babe. Sie wusste nichts über dich oder das, was wir sind. Sie hat hundert Dollar dafür gekriegt, dass sie den Brief in ihr Unterhemd schiebt und zur richtigen Zeit einwirft. Und ich hatte ihr noch mal hundert versprochen, wenn der Job erledigt wäre. Sie sollte einfach nur in der Wartezone bleiben, bis ich kommen würde.“ Er lachte spöttisch. „Oder besser, bis du kommen würdest. Aber das hab ich ihr natürlich nicht gesagt. Ich wusste, sie würde dich lange genug aufhalten.“
„Dann ist der Engel …?“
„… bereits transformiert. Tut mir sehr leid.“ Er tat reumütig, was aber durch sein darauffolgendes Lachen enttarnt wurde. „Nein, tut es natürlich nicht. Dir brauch ich doch nichts vorzumachen.“
„Wo ist er?“
„Spielt das denn noch eine Rolle?“
Ich antwortete nicht, schaute ihn aber weiterhin an.
„Auf der anderen Seite der Insel gibt es eine kleine Bucht. Dort ist ein rotes Korallenriff. Man muss zwischen den Korallen hindurchtauchen. Ein schmaler Durchlass und die Dinger sind verdammt scharf, das kannst du mir glauben. Er führt in eine Grotte, ziemlich nah am Vulkan. Es liegen Hunderte schwarzer Perlen auf dem Boden. Ein geheimer Schatz des Meeres. Und geheim wird er ewig bleiben, weil niemand dorthin kommt. Aber der Engel, der ist genau dort.
Weit unterm Meer nah der Erde Glut, wo der Schatz der Mantas ruht, von roten Krallen wird bewacht, der vierte Engel der Ewigen Nacht.“
„Dann gehst du also nicht der Reihe nach vor, wie?“
Er schüttelte lachend den Kopf. „Das muss man auch nicht. Und so ist es auch viel spannender, findest du nicht?“
„Hör auf damit, Dracon. Bitte!“
„Warum? Willst du sie denn nicht? Die Ewige Nacht?“
Ich schüttelte stumm den Kopf. Versonnen blickte er vor sich hin. Offenbar hatte er keine Angst, dass ich versuchen könnte, ihn zu fassen oder gar aufzuhalten, denn er kam sogar zu mir rüber
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