Ruf des Blutes 2 - Engelstränen (German Edition)
Hinweisen auf die Engel oder Dracons Aufenthaltsort hatte bislang nichts ergeben. Ebenso Armands Suche nach Ivanka. Sie war wie vom Erdboden verschluckt. „Was war das, Lucien?“
„Das war Kaliste. Sie ruft zu einer Zusammenkunft. Zu einem Gericht.“
Davon hatte ich noch nichts gehört. Er lächelte mich an, zynisch und kalt.
„Ich würde sagen, dein Täubchen hat nicht lange gebraucht, um in ziemliche Schwierigkeiten zu geraten,
thalabi
. Sie hat gegen unsere Gesetze verstoßen.“
„Ivanka? Gegen unsere Gesetze verstoßen? Wie? Und wo ist sie?“
„Sie ist davongelaufen, nicht wahr? Genauso wie im sterblichen Leben. Das dachte ich mir schon. Im Moment ist sie im Gewahrsam unserer Königin. Sie hat sich in einen anderen Vampir verliebt. Demion. Und der gehört nicht zu unserem Blut.“
Ich verstand schlichtweg nur Bahnhof.
„Du hättest sie in meiner Obhut lassen sollen. Ich hätte sie zu bändigen gewusst, die kleine Katze. Mir wäre sie nicht weggelaufen. Aber nun ist es zu spät. Auf das, was sie getan hat, steht der Tod.“
Mir wurden die Knie weich und ich sank auf den Stuhl zu meiner Rechten. Lucien zeigte Mitgefühl, indem er zu mir kam und tröstend seine Hand auf meine Schulter legte. Er versuchte zu erklären.
„Demion ist der Sohn eines anderen Lords, Kortigu, und der duldet absolut kein fremdes Blut in seiner Familie.“
„Warum nicht? Was soll der Quatsch? Haben Vampire nicht schon genug Sorgen? Muss man auch noch welche erfinden?“
„Du denkst noch immer menschlich,
hobi
. Es ist durch die heiligen Regeln der Vampire verboten, dass das Blut der Clans sich mischt. Zu unserem Schutz, damit das Blut der Geschwister sich nicht kreuzt. Du weißt, was das bedeuten würde. In diesem Fallwäre es zwar auf beiden Seiten Kalistes Blut, aber Kortigu ist sehr eigen. In seinen Augen muss eine Familie ‚rein’ bleiben. Das bedeutet, kein fremdes Blut von außen. Er hält die Seinen eisern zusammen. Sie leben in einer Burg an der Küste Islands. Keiner verlässt die Familie lebend. Fremde werden nicht einmal als Besuch ohne weiteres geduldet. Wann immer ein Mitglied seiner Brut sich in einen Sterblichen so sehr verliebt, dass er ihn in die Familie holen will, geschieht dies erst nach einer eingehenden Prüfung. Kortigu allein entscheidet, ob jemand würdig und stark genug ist. Falls nicht, verlässt der Mensch die Burg nicht lebend. Dann ist er Futter.“
Mich schauderte, aber Lucien war noch nicht fertig und ich wollte ihn nicht unterbrechen.
„Ist er würdig genug, so wird er in einem Ritual verwandelt. Er trinkt Kortigus Blut aus einer goldenen Schale, nachdem der, der ihn mit in die Burg brachte, sein Lebensblut bis an den Rand des Todes aus ihm herausgesaugt hat. Die Selektion mag dir hart erscheinen, aber Kortigus Familie ist auf diese Weise eine der stärksten und mächtigsten unter uns.“
„Was geschieht jetzt mit Ivanka und diesem Demion?“
„Kortigu hat sie beide angeklagt und fordert eine Bestrafung. Kaliste will ein Exempel statuieren. Es ist seit Ewigkeiten die erste Möglichkeit für sie, ihren Rang und ihre Macht wieder unter Beweis zu stellen. Sie wird das nicht ungenutzt lassen.“
Ich saß noch immer wie versteinert und lauschte den Ausführungen meines Lords. Sanft berührte er schließlich meinen Arm.
„Komm,
thalabi
. Wir müssen uns auf den Weg machen. Das Gericht beginnt schon morgen Nacht.“
Ich erhob mich. Da erst fiel mir der junge Mann auf, der sich im Hintergrund hielt. Offenbar war er gerade erst in den Thronsaal gekommen, ich hatte seine Anwesenheit nicht wahrgenommen. Auf ihn hatte Lucien gewartet. Er winkte ihn mit einer Geste heran.
„Wir werden Leonardo mitnehmen. Er gehört erst seit heute zu unseresgleichen.“
Neugierig musterte ich Luciens neugeborenen Sohn. Er war Mitte zwanzig, bildschön, mit kurzen kastanienbraunen Locken und Augen aus grünem Smaragd durchsetzt mit Bernsteinsplittern. In letzteren lag noch ein Rest des durchlebten Wandlungsschmerzes. Es konnte kaum mehr als ein paar Stunden her sein.
„Leonardo, das ist Melissa. Meine Muse, mein Ziehkind, wenn du so willst. Wir werden mit ihr eine lange Reise antreten. Denkst du, du bist stark genug?“
Leonardo nickte stumm. Er musterte mich neugierig, doch Lucien gemahnte zur Eile. Wir würden später Zeit finden, uns näher kennen zu lernen.
Die Reise ging direkt zum Südpol. Ins ewige Eis der Antarktis. Temperaturen von bis zu minus 70° C. Hier gab es zu dieser Jahreszeit
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