Ruf des Blutes 2 - Engelstränen (German Edition)
Jahrtausende her, mein Freund. Du vergisst, ich habe die letzten beiden Engel nicht verwandelt, obwohl ich sie gefunden hatte.“
Saphyro lächelte verschwörerisch und trat nah an Lucien heran, damit man ihre Worte nicht belauschen konnte. „Hast du es noch, das Amulett?“
Lucien schüttelte warnend den Kopf. Die Nacht hatte Ohren. Bislang waren sie die einzigen Bluttrinker, die von dem Amulett wussten. Erst nachdem er sich vergewissert hatte, dass sie wirklich unbeobachtet und außer Hörweite waren, antwortete er. „Nein,
sadeki
. Ich gab es dem Bewahrer zurück. Dem letzten Engel der dreizehnten Garde. Niemand außer ihm sollte es jemals wieder in die Finger bekommen. Es war und ist ein Fluch für jedermann, außer für den Bewahrer selbst. Er allein ist dazu bestimmt, den Kristall der Dunkelheit zu tragen, ohne dass seine Seele Schaden nimmt.“
„Kaum zu glauben, dass Engel wirklich eine Seele haben“, gab Saphyro grinsend zurück.
„Alles hat eine Seele,
sadeki
. Sogar wir.“
„Kaliste wird ewig rätseln, warum dich die Sonne nicht verbrannt hat.“
„Lass sie rätseln. Ich traue unserer Königin nicht. Und wenn sie ihre Garde ausschickt, wäre das Amulett ein zweites Mal in Gefahr. Wer weiß, zu welchen Zwecken sie es missbrauchen würde.“
„Warum sagst du deiner Füchsin nicht einfach, wo die Engel sind? Du weißt es doch noch. Dann könnte sie Dracon aufhalten, ehe er ein Unglück herauf beschwört.“
„Wenn ich es wüsste, würde ich es tun. Doch als ich das Amulett aufgab, verlor ich auch die Erinnerung an die Engelorte. Der Kristall schützt das Geheimnis der Ewigen Nacht. Ich könnte helfen, wenn ich noch im Besitz der Legende wäre, doch die hat Dracon gestohlen.“
„Warum muss es gerade diese Schrift sein? Es gibt so viele davon.“
„Weil diese eine ein Geheimnis birgt, das ebenso sicher zu den Engeln führt, wie der Kristall selbst. Und dieses Geheimnis hat mein Sohn bestimmt längst entdeckt.“
Die Resignation in seiner Stimme steckte auch Saphyro an. „Dracon wird nicht zögern, Sian. Sein Herz kennt nur Finsternis, seit er eldam el aswad – das Dunkle Blut – von deinen Lippen trank. Und sie, sie wird ihn niemals aufhalten, selbst wenn es ihr gelingt, vor ihm am rechten Ort zu sein. Denn er hat ihr Herz berührt. Zweimal schon ließ sie ihn ziehen. Ich las die Schuld, die so schwer auf ihre Schultern drückt. Denkst du, sie wird beim nächsten Mal anders handeln?“
Seufzend löste sich Lucien vom Sternenhimmel. Sein Blick glitt zu Boden, dann zu den sanften, schwarzen Augen seines Bruders im Blut. „Ich weiß, sie hat nicht die Macht dazu. Und Dracon weiß es auch. Er will sie teilhaben lassen, darum ist seine nächste Nachricht nur eine Frage der Zeit. Doch sie wird immer zu spät zur Stelle sein.“
„Hier“, sagte Saphyro und drückte Lucien eine Schriftrolle mit seinem Siegel, dem des Horus, in die Hand. „Ich stimme für den Mond des Hungers, um die beiden zu läutern. Lege dies in meinem Namen vor. Meine Kinder und ich folgen deiner Füchsin. Wir werden ihr helfen, den Drachen zu bändigen.“
Im Schlangennest zur ewigen Ruh
„Ivanka?“, fragte Franklin, als ich in der nächsten Nacht zu ihm ins Kaminzimmer kam.
Ich winkte ab. Es hatte keinen Sinn, darüber zu reden. Sie war zum Tode verurteilt und auch wenn Lucien Einspruch erhoben und mir versprochen hatte, alles in seiner Macht Stehende zu versuchen, so war mir doch auf schmerzliche Weise bewusst, dass es vermutlich nicht reichen würde. Dass ich Ivanka nie wiedersehen würde. Unwillig schüttelte ich den Kopf. Keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. Dracon hatte durch diese unsägliche Geschichte viel zu viel Zeit gewonnen. Ich durfte mich jetzt nicht gehen lassen. Ich musste auf Lucien vertrauen und mich auf meine Aufgabe konzentrieren. Franklin verstand, dass ich nicht über meine Tochter reden wollte. Er legte die Unterlagen über die sieben Quellen auf den Tisch. Wir nahmen auf dem Sofa Platz und sahen sie uns an. Wir mussten die verbleibenden fünf Orte anhand der Rätsel ausfindig machen, ehe Dracon es tat. Nur dann hatten wir eine Chance.
„Franklin? Melissa?“ John kam herein. Einen Umschlag sowie eine Kette mit Schlüssel in der Hand. „Dies wurde gerade abgegeben.“
Ich erkannte schon von weitem Dracons Handschrift. Mit zitternden Fingern nahm ich den Umschlag entgegen. Fast so, als wäre er ein giftiges Insekt. Das rote Siegel war leicht zu brechen.
Der sechste
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