Ruf des Blutes 2 - Engelstränen (German Edition)
Angst idiotisch. Ein Schlangebiss konnte mich nicht töten, auch hundert Schlangenbisse nicht, aber sie würden wehtun. Davon ganz abgesehen hatte ich eine immense Abscheu vor diesen kriechenden Tieren.
„Man sagt, sie seien die überlebenden Nachkommen der Drachen.“
Ein Streichholz flammte auf. Dracons Gesicht war nur wenige Zentimeter von meinem entfernt. Dazwischen die züngelnde Flamme, die sich an dem dünnen Holzstäbchen entlang fraß. Sie spiegelte sich in seinen Augen, reflektierte von den gläsernen Nägeln, die er nicht mehr, wie damals in New Orleans, durch schwarzen Lack tarnte.
Urplötzlich blies er die kleine Flamme aus. Die Dunkelheit dauerte nur Sekundenbruchteile ehe sich mehrere Dutzend Fackeln an den Wänden entzündeten, so als habe er die Flamme vom Streichholz zu den neuen Lichtquellen gepustet.
Wissend, dass ich es besser gelassen hätte, riskierte ich einen Blick auf meine Füße. Ich stand inmitten hunderter von Schlangen. In allen Farben, Zeichnungen und Größen schoben sich ihre Körper über- und untereinander, verschlungen, verwoben. Ein wogendes Meer glänzender biegsamer Leiber.
Dracon bückte sich und hob ein großes rotgrün schillerndes Exemplar vom Boden. Sein Oberkörper war nackt, ebenso wie seine Füße. Er trug lediglich weite, weiße Leinenhosen. Die Schlange in seiner Hand züngelte gleich ihren schwarzen Schwestern, die auf seinen Körper tätowiert waren. Langsam glitt sie an seinem Arm empor, reckte sich dann in Richtung seiner Brust und berührte einen der silbernen Ringe, mit denen seine Brustwarzen durchstochen waren, mit ihrer gespaltenen schwarzen Zunge.
„Wunderschön, nicht wahr?“ Wie hypnotisiert folgte er den Bewegungen des schuppigen Kopfes. Schließlich ließ er das Tier wieder zu Boden gleiten. Dann reichte er mir seine Hand. „Komm mit, Babe, ich möchte, dass du ihn dir ansiehst. Er ist noch schöner, als der aus der Eishöhle.“
Zu meiner eigenen Überraschung ergriff ich seine Hand ohne zu zögern. Er führte mich sicher durch das Schlangennest. Die Reptilien glitten auseinander, wo immer er seinen Fuß hinsetzte. Einige wenige richteten drohend ihre Oberkörper auf und blähten ihre Köpfe, doch keine griff uns an. Je weiter wir gingen, desto beeindruckender wurde unsere Umgebung. Die Wände schimmertenwie Edelsteine, warfen das flackernde Feuer tausendfach in den Raum zurück. Es war wie in einer Feenwelt. Am Ende unseres Weges standen wir vor einem unterirdischen See, der von mehreren Wasserfällen gespeist wurde, die ebenso wie die Wände alle Farben des Regenbogens wiedergaben.
„Ich hab dir doch gesagt, du sollst dich nicht vorm Wasser fürchten. Ich weiß genau, wie heiß du gleich aussiehst, wenn ich jede Kontur deines Körpers sehen kann.“
Er zog mich mit ins Wasser. Es reichte mir bis fast zum Kinn. Für den Moment war er gezwungen, mich los zu lassen, weil wir zum anderen Ende schwimmen mussten. Dort befand sich hinter dem Wasserfall der Eingang zur Engelsgrotte.
Mir stockte der Atem, als ich eintrat. Dracon hatte nicht übertrieben. Dieses Wesen war ätherisch. Durchscheinende Elfenflügel, mit Fäden aus Gold und Silber durchwirkt. Sein Gewand schimmerte wie blaue und grüne Opale, wie die Schuppen der Schlangen in der Höhle, aber um ein Vielfaches schöner. Sein Haar war von der gleichen Farbe, seidige Strähnen, die fein wie Spinngewebe sein Gesicht umschmeichelten. Aber das Eindrucksvollste an ihm waren seine Augen. Große, mandelförmige Augen, die von Violett zu Blau und von Blau zu Türkis changierten. Ich war so in den Anblick vertieft, dass ich eine ganze Weile brauchte, ehe es mir auffiel. Seine Tränen waren nicht blutig. Er war noch nicht verwandelt.
Dracon war neben den weinenden Engel getreten. Ehrfürchtig streichelte er die perlmuttartige Haut.
„Hab keine Angst“, flüsterte er ihm zu.
Ich wusste, dass ich genau in diesem Moment hätte eingreifen müssen. Dass ich Dracon davon abhalten sollte, sein Vorhaben auszuführen. Doch ich war wie gelähmt. Gebannt von der Schönheit des Engels und den weichen, fließenden Bewegungen mit denen dieser Dämon ihn umgarnte. Die Luft vibrierte, oder waren es nur meine angespannten Nerven?
Dracons weiche Lippen berührten den fein geschwungenen Mund, glitten über das Kinn zur Kehle hinab, pressten sich auf die pochende Ader. Als der Biss kam, schnell und ohne Zögern, zuckte ich wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Der Engel stöhnte kurz und ergeben auf. Im
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