Ruf des Blutes 2 - Engelstränen (German Edition)
unseresgleichen. Wer von euch strebt diesen Dingen zu? Die Finsternis ist unser Reich. Der Rausch des Blutes unser einzig Begehr. Doch was wir tun, das tun wir mit Bedacht. Zur Erhaltung unserer Art. Das Gesetz wurde gebrochen. In fünftausend Jahren ist das nie geschehen. Und ich gedenke hier und heute nicht damit anzufangen, einen solchen Verstoß zu dulden. Es muss ein Exempel statuiert werden. Sonst werden sich die Jungen bald nicht mehr an unsere Regeln halten und wir werden alle sterben. Diese beiden verdienen den Tod.“
Sie erhielt deutlich mehr Zustimmung als ihr Bruder. Ich sah den Schmerz in Tizians Augen. Große Göttin, er trug eine menschliche Seele in seiner Brust, wie ich. Und er litt, wie ich nie leiden würde. Eine Träne stahl sich aus meinem Auge, bahnte sich ihren Weg rot und feucht über meine Wange. Eine Träne, die ich um den Bruder, den verlorenen König, vergoss. Beide waren sie halb Mensch, halb Dämon, doch in Kaliste schlug auch das dämonische Herz ihres Vaters, während in Tizian das menschliche ihrer Mutter wohnte. Er sah mich an, die Nacht von New Orleans erwachte noch einmal zum Leben. Ich roch den Jasmin und die Bougainvillea, den Sumpf und die Nacht. Ich hörte das Lied der Zikaden. Und ich schmeckte diesen einen Tropfen seines Blutes, den er mir gab.
Benommen kam ich ins Hier und Jetzt zurück, wobei ich merkte, dass das Blut, welches ich schmeckte, von meiner Träne rührte. Nicht von ihm.
Auf einen Wink von Kaliste verließen die Ältesten den Raum. In dem Stimmengewirr aus Gedanken und Worten, das um uns herum entstand, konnte ich einige sehr deutliche Gesprächsfetzen auffangen. Die meisten forderten den Tod der beiden Gesetzesbrecher,andere hatten Verständnis und meinten, eine Ermahnung reiche aus. Wieder andere waren für eine milde Strafe, doch zu gnädig dürfe man nicht sein, schließlich musste sichergestellt werden, dass es sich nicht wiederholte.
Im allgemeinen Durcheinander fielen niemandem die Blicke auf, die Ivanka und Demion wechselten. Mir schon. Demions Rede hatte nur einem Zweck gedient. Ein mildes Urteil zu erhalten. Aber wirkliche Reue zeigte er ebenso wenig wie meine Ivanka. Mir graute davor, was das hieß. Sie würden ihre Liebe nicht aufgeben. Und doch klammerte ich mich an den Glauben, dass Demions Täuschung niemandem außer mir auffallen würde, da ich ansonsten keine Hoffnung haben konnte, dass Ivanka am Leben blieb.
Eine halbe Stunde später kamen die Ältesten zurück und begaben sich wieder an ihre Plätze. Tizian war es, der das Urteil verkündete, er fühlte sich ganz offensichtlich nicht wohl in seiner Haut.
„Der Rat hat entschieden. Das Urteil lautet: Schuldig. Das Vergehen ist zu schwerwiegend, um ungesühnt zu bleiben, da es unser aller Leben in Gefahr gebracht hat.“ Er wechselte einen Blick mit seiner Schwester, deren Augen dunkel und drohend funkelten. Er schluckte, doch dann kamen die unheilvollen Worte über seine Lippen. „Die Strafe lautet: Tod durch den Kuss der Sonne.“
Der Ruf der Pflicht
Die Nacht draußen war eisig. Sterne funkelten über mir, so hell, dass es ein menschliches Auge geblendet hätte. Doch weder ihr Strahlen, noch die Kälte konnten mir etwas anhaben.
Ganz bewusst nahm ich nicht den Weg, den Lucien genommen hatte, obwohl ich darauf brannte, mit ihm zu reden. Er würde bald kommen, um mir zu sagen, ob es noch Hoffnung gab. Er hatte Widerspruch eingelegt, nicht gegen das Urteil, sondern gegen die Strafe. Ob er damit Erfolg hatte, blieb abzuwarten. Der Rat hatte sich noch einmal zurückgezogen, um über den Widerspruch zu beratschlagen. Bis diese Entscheidung gefallen war, wollte ich allein sein und nachdenken, wie es jetzt weitergehen sollte. Ich konnte nicht noch mehr Zeit hier vergeuden. Auch wenn mir Ivankas Schicksal das Herz zerriss. Aber die Ashera brauchte mich. Dracon aufzuhalten war wichtiger, als einen jungen Vampir zu retten, dessen Seele vermutlich ohnehin längst verloren war.
Hinter mir in den Schatten knirschte es plötzlich. Wie schwere Stiefel auf gefrorenem Schnee. Ich drehte mich um, meine Härchen im Nacken stellten sich auf. Für einen Augenblick glaubte ich gelbe Augen in der Dunkelheit leuchten zu sehen, doch sie verloschen augenblicklich wieder. Oder hatte ich es mir nur eingebildet? Ein Trugbild des Sternenlichts auf den Eiskristallen? Das Herz schlug mir bis zum Hals. Langsam näherte ich mich der Stelle, an der die gelben Leuchtpunkte erschienen waren. Wieder knirschte
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