Ruf des Blutes 2 - Engelstränen (German Edition)
nächsten Augenblick sah ich das Blut aus Dracons Mund fließen und die Lippen des Himmelsgeschöpfes besudeln. Der Mund des Engels quoll über vom vampirischen Elixier der Ewigkeit. Es lief über seine Lippen, seine silbrige Kehle, benetzte das schillernde Gewand. Vor meinen Augen wurden die glasklaren Tränen dunkel und rot.
Das Gefühl völligen Versagens raubte mir den Atem ebenso wie die Kraft, mich noch länger auf den Beinen zu halten. Ich stürzte nach vorn, versuchte noch, meinen Fall mit den Armen abzufangen, da war Dracon auch schon zur Stelle und hob mich auf seine Arme. Kraftlos ließ ich meinen Kopf an seine Schulter sinken und ergab mich schließlich der nahenden Ohnmacht.
Eine Ewigkeit später, so schien es mir, erwachte ich draußen vor dem Tempel in Dracons Schoß. Er strich mir mit einem kühlen Tuch über Stirn und Wangen.
„Geht es dir wieder besser, meine Süße?“
Ich wollte schreien. Wollte weinen. Und am liebsten wollte ich ihn und mich selbst in tausend Stücke reißen. Große Göttin, wie hatte das geschehen können? Wie hatte ich nur dabeistehen und zusehen können, wie er den dritten Engel verwandelte?
„Ich muss jetzt gehen. Bleib noch eine Weile liegen, dann hast du wieder ausreichend Kraft, um nach London zurückzukehren. Aber ich möchte ungern noch hier sein, wenn du wieder genug bei Sinnen bist, um mir Fußfesseln anzulegen.“
Er grinste diabolisch, drückte mir einen Kuss auf die Stirn und verschwand. Benommen blieb ich zurück. Den ganzen restlichen Tag hindurch dämmerte ich im Schatten dahin, bis endlich die Nacht kam, die mit Lunas Licht meine Lebensgeister zurückbrachte.
Eine Fuchsjagd mit Wölfen
Ein veränderter Mond, ich spürte es schon. Den ganzen Weg zurück nach Gorlem Manor dachte ich darüber nach. Die silberne Mutter begann bereits, sich der Sonne zu nähern. Nicht unbemerkt von der Welt, nachdem so viele Wissenschaftler tagtäglich nichts Besseres zu tun hatten, als die Sterne zu beobachten. Alles freute sich auf das Phänomen der nächsten Sonnenfinsternis, ohne zu ahnen, welcher Gefahr sie diesmal tatsächlich entgegen gingen. Dass es eine ewige Sonnenfinsternis sein würde. Der Mond nicht nach wenigen Minuten die Sonne wieder freigab, sondern aufhören würde, sich um die Erde zu drehen.
Schon jetzt änderte er seine Bahn, um künftig gemeinsam mit der Erde um die Sonne zu kreisen. In genau dem Abstand und der Geschwindigkeit, die nötig war, um die wärmende, lebensspendende Sonnenscheibe immerwährend zu verdecken. Ich mochte kaum an die Auswirkungen denken. Kein Licht bedeutete keine Pflanzen und damit keinen Sauerstoff. Das Leben würde nicht mehr dasselbe sein. Es würde ganz allmählich zugrunde gehen. Dracon war sich nicht darüber im Klaren, was er anrichtete. Wo das alles hinführen konnte. Dass er uns damit am Ende ebenso schadete, wie den Menschen.
Mit jedem Engel, den Dracon verwandelte, rutschte der Mond weiter in seine neue Bahn. Ich musste ihn aufhalten. So schnell wie möglich. Denn was wäre, wenn der Mond, auch nachdem wir Dracons Mission aufgehalten hatten, nicht nach Vollendung des Zyklus wieder in seine alte Umlaufbahn zurückglitt? Was, wenn er dort verharrte, wo er sich gerade befand? Dann war es wichtig, dass es uns so früh wie möglich gelang, um die Spätfolgen in Grenzen zu halten.
Für Franklins Vorwürfe fühlte ich mich noch nicht stark genug, wenn er erfahren würde, dass ich bei der Wandlung des dritten Engels untätig zugesehen hatte. Darum war mein erster Gang der zu Armand. Er hatte inzwischen ebenfalls über die feinen Antennen, die uns Vampiren eigen waren, von dem Gericht gehört und seine Suche nach Ivanka eingestellt. Meinen traurigen Gesichtsausdruck deutete er falsch.
„C’est tous à ma faute. Es ist alles meine Schuld. Bitte verzeih mir, dass ich so nachlässig war, sie entwischen zu lassen.“
Ein bitteres Lachen stieg in meiner Kehle auf, das ich kaum zu bezwingen vermochte. Wer war hier nachlässig gewesen und hatte jemanden entkommen lassen? Das war ja wohl ich.
„Armand hör auf, dich zu entschuldigen. Ivanka war von Anfang an zum Sterben verurteilt. Sie war ein Lockvogel. Dracons Lockvogel. Und ich bin ihm blind in die Falle getappt. Es tut mir leid für das Mädchen. Vielleicht würde ich sogar um sie bangen, um sie trauern, wenn ich nicht wesentlich schwerwiegendere Probleme hätte, um die ich mir im Moment Gedanken machen muss.“
Mutlos ließ er die Hände sinken, mit denen er mich
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