Ruf des Blutes 2 - Engelstränen (German Edition)
sie?“
„Miami. Die Isle of Dark.“ Als Franklin offenbar nicht verstand, seufzte er. „Notre grand Lord l′a appelée. Der Lord hat sie gerufen. Seinem Ruf kann sich niemand verweigern. Und du kannst ihr ebenso wenig folgen wie ich, wenn dir dein Leben lieb ist. Der Lord kennt keine Gnade, wenn er etwas haben will.“
„Aber …“, wollte Franklin einwenden, doch Armand schnitt ihm mit einer Geste das Wort ab.
„Es ist besser für sie, glaube mir. Sonst würde ich sie nicht bei ihm lassen. Seine Lehren werden es ihr leichter machen, mit ihrer neuen Natur zu leben. Keine Sorge, ich bleibe in erreichbarer Nähe und passe auf sie auf. Das habe ich ihr versprochen. Und selbst die Drohung eines Lords wird mich nicht aufhalten, wenn sie nach mir ruft.“
Und das meinte er ernst, auch wenn es vermutlich seinen Tod bedeuten würde. Er schlug Franklin ohne ein weiteres Wort die Tür vor der Nase zu, lehnte sich erschöpft mit geschlossenen Augen von innen dagegen, lauschte, bis Franklin mit zögerlichen Schritten endlich verschwand.
Erleichtert atmete er aus. Einerseits tat es ihm leid, dass er einen guten Freund so vor den Kopf stieß, aber er hätte seine Nähe jetzt unter keinen Umständen ertragen. Noch weniger diesen unüberschaubaren Haufen an Fragen, den er in seinem Kopf gesehen hatte. Nein, keine Fragen von außen mehr. Ihm reichten die, die in seinem eigenen Kopf Fangen spielten und ihn in den Wahnsinn trieben. ‚Was hat sich verändert?’, fragte er sich, während er in seine Wohnung zurückkehrte. Er war nie eifersüchtig gewesen. Er war ein Vampir, alles andere als treu und monogam. Kannte den Stellenwert der Lust im Leben von seinesgleichen und hatte daher von keinem seiner Gefährten je Treue erwartet. Doch bei Mel ertrug er den Gedanken nicht, dass sie in den Armen eines anderen das gleiche Glück erleben könnte, wie in den seinen. Sie sprach nie über ihre Jagd, wenn sie allein loszog. Aber sie sagte oft, dass sie kein Menschenleben nehmen wolle, solange es nicht nötig war. Das hieß, sie beließ es beim kleinen Trunk. Doch wie brachte sie ihre Opfer so weit? Wäre es nicht am leichtesten, sie mit Lust und Leidenschaft zu umgarnen? Bilder stiegen vor seinem geistigen Auge auf, wie Mel in den Armen fremder Männer lag, stöhnend und mit verklärten Augen, bis sie im entscheidenden Augenblick die langen Fänge in deren weiche Kehlen schlug und sie anschließend in den Nebelschlaf versetzte, damit sie sich am nächsten Morgen an nichts mehr erinnerten. Natürlich war es genauso gut möglich, dass sie lediglich einen Bann um ihre Opfer wob, um unbemerkt von ihnen zu trinken. Doch welcher Reiz lag schon darin?
Verdammt, warum waren ihre Gedanken so fest vor ihm verschlossen? Was gab ihr diese Macht? Sie konnte die seinen lesen, wenn er sie nicht bewusst verbarg. Auch das war ungewöhnlich. Er hatte von Lemain nie auch nur einen Hauch von Gedanken erhascht, es sei denn, sein Schöpfer hatte ihn direkt angesprochen. Sein Kopf hingegen war ein offenes Buch für den Vampir gewesen. So war es gemeinhin. Der Schöpfer behielt die Macht über seinen Novizen. Umgekehrt jedoch nicht. Bei ihm und Mel war es anders. Sie zeigte ihm nur, was sie wollte. Auch wenn darin keine Absicht lag, verletzte es ihn doch. Es war ganz sicher
Das Blut
. Von Lucien, Lemain und Dracon. Sie alle hatten ihr das Dunkle Blut gegeben, lange vor ihrer Wandlung durch ihn. Lucien! Lucien! Der bohrende Stachel in seinem Fleisch. Der sinnlichste Verführer, erfahren in allen Spielarten, ein Meister der Illusion. Ein Mensch hatte keine Chance gegen ihn, ein junger Vampir wie Mel ebenso wenig. Wie stark band er sie an sich? Würde es ihm am Ende doch gelingen, sie ihm wegzunehmen, trotz aller Beteuerungen ihrer Liebe?
Mit einem wütenden Brüllen warf er die antike Holzkommode im Wohnzimmer um. Klirrend zerbarsten die teure Vase sowie die Brandy- und Whiskeyflaschen, die darauf gestanden hatten. Das edle Holz splitterte. Scaramouche, sein schwarzer Kater, flüchtete mit einem entsetzen Fauchen aus dem Raum.
Alle Muskeln in seinem Körper spannten sich an, ganz so, als wolle er im nächsten Moment auf einen unsichtbaren Feind losgehen. Aber dieser Feind war unbesiegbar, denn es waren seine eigenen Ängste und Zweifel, gegen die er antrat.
*
Ich ging durch die Straßen von Miami, obwohl es noch nicht ganz dunkel war. Osira begleitete mich mit sauertöpfischem Gesichtsausdruck. Den hatte sie ja schon, seit ich Luciens Burg
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