Ruf des Blutes 3 - Dämonenring (German Edition)
Klauenhand schloss sich um mein Herz bei der Frage, auf wessen Seite das Magister wohl stand und ob man sich wirklich nicht einmischte, wenn es für die Welt kurz vor zwölf stand. Zu deren Entscheidungen hatte ich weit weniger Vertrauen als zu meinen eigenen.
Mein Vater räusperte sich. „Keiner von den Entscheidungsträgern wird dir die Zustimmung geben, eine Träne zu verwenden, Melissa. Schlag dir das aus dem Kopf. Das Risiko ist zu hoch. Du weißt, dass wir uns so wenig wie möglich in die Abläufe der Welt einmischen. Die Tränen Luzifers bedeuten eine massive Einmischung, die das Gleichgewicht stören kann. Es geschieht nichts auf der Welt ohne Grund. Gerade du solltest das wissen.“
Das wusste ich. Aber mit der Einmischung war das nun mal so eine Sache. Wo begann sie und wo hörte sie auf?
Seufzend verwarf ich den Gedanken wieder. Franklins Einwände waren nicht unbegründet, auch wenn es mir im ersten Moment als die beste Lösung erschienen war, die Tränen Luzifers zum vermeintlich guten Zweck zu nutzen. Aber ohne sein Einverständnis – oder das des Magisters – rückten sie in unerreichbare Ferne. Ich stand also immer noch vor dem Abgrund und wusste keinen Weg hinüber.
Unser Abschied war eher kühl, was meinem Vater mehr leidtat, als mir. Ich wanderte ziellos durch die Straßen Londons, nie zuvor hatte ich mich so allein und von allen, die mir etwas bedeuteten, verlassen gefühlt. Der Kloß in meiner Kehle erwürgte mich fast, mein Körper fühlte sich taub an, leer. Wie sollte man die Welt retten, wenn einem schlichtweg die Mittel fehlten? Und die Gefährten.
„Du bist nicht allein“, flüsterte mir eine innere Stimme zu. Es war nicht Osira, doch es klang so vertraut, wie ein Teil von mir. „Rufe die deinen. Du hast die Macht dazu, Schicksalskriegerin.“
Ich hatte es nie zuvor ausprobiert. Lucien hatte mir gezeigt, wie man den geistigen Ruf aussandte. Es war eine Sache, die die Lords und Ladys taten, um ihre Kinder zu sich zu befehlen. Hatte ich ein Recht darauf, diese Fähigkeit einzusetzen? Warum hatte Lucien sie mich gelehrt, wenn ich sie niemals anwenden sollte? Ich konnte es, brauchte jetzt andere meiner Art, die mir halfen. Also musste ich es sogar einsetzen.
Ich zitterte, Angst prickelte auf meiner Haut, ebenso wie ein Gefühl von Vorfreude und Erwartung. Der Ruf sollte weit übers Land hallen. Über die Grenzen Englands hinaus. Wenn möglich über die ganze Welt. Die Spitze von Big Ben erschien mir hoch genug, um es zu wagen. Ich balancierte auf ihr, wie eine Seiltänzerin, breitete die Arme aus, hob das Gesicht dem Mond entgegen. Mit jedem Atemzug wurde meine Seele weit und weiter. Ich spürte die uralte Kraft des Blutdämons, wie sie durch meine Zellen floss. Der Ring schien sich enger um meinen Finger zu schmiegen, die Sterne in seinem Inneren glühtenvor meinem geistigen Auge. Die Energie von Himmel und Erde floss in mir zusammen, wirbelte in einer Spirale auf und ab, so wie ich als Hexe gelernt hatte, Magiefäden zu sammeln und zu weben, zu eben solch einer Spirale, die mir bei meinen magischen Handlungen diente und Kraft in meinen Zauber fließen ließ. Als das Pulsieren seinen Höhepunkt erreichte, meine Stimmbänder unter dem Summen vibrierten, mit dem ich die Energien nährte, sandte ich den stummen Ruf rund um den Globus.
„Ich rufe euch. Ihr, die ihr von meinem Volke seid. Ich rufe euch. Der Feind hat den Krieg begonnen. Die Crawler verlassen ihr Versteck. Tod und Verderben über sie. Ich rufe euch zum gerechten Kampf. Ich rufe euch zu unserem Heiligen Krieg.“
In dem Moment, wo ich die Worte formulierte, stoben die Sterne des Ringes in meinem Geist in alle Himmelsrichtungen davon. Ich konnte ihrem Flug folgen. Sie trugen meine Worte hinaus in die Welt, genährt von meiner ureigensten Kraft. Die Stimme, die sie rief, all die Vampire aus Kalistes Brut, die so wie ich nach dem Blut der Crawler dürsteten, aufgrund der Ereignisse in den letzten Tagen und Wochen, war die Stimme des Dämons. Ein dunkles, lautes Brüllen, keine Bitte, sondern der Befehl ihrer Heerführerin.
Sie kamen. Schon in der folgenden Nacht erwachte ich in dem kleinen Mausoleum auf Londons Zentralfriedhof, wo ich vorübergehend eingezogen war, und spürte die Anwesenheit von über hundert Vampiren, die draußen zwischen den Gräbern umherschlichen und auf mein Erwachen warteten. Sie würden meinem Befehl folgen.
Innerlich noch immer unsicher trat ich hinaus in die Nacht. Es waren viel mehr
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