Ruf des Blutes 4 - Unschuldsblut (German Edition)
erwartet.“
„Was glaubst du, das dich erwartet?“
„Ich weiß es nicht. Aber ich will ihm mit Stolz in den Augen entgegen sehn.“
„Und was erwartest du von mir?“
„Ich erwarte wenig von dir, weil ich nicht einmal sicher sein kann, dass du da bist, wenn es soweit ist. Ich sage es dir nur, weil ich denke, dass du es wissen solltest. Damit du darauf vorbereitet bist. Wenn du in meiner Nähe bist, dann bitte ich darum, mich zu töten. Diese Gnade bist du mir schuldig … Mutter.“
Der Hieb saß. Er hatte mich nie zuvor so genannt. Aber in diesem Moment hatte er mir auf eine allzu höfliche Art den Vorwurf gemacht, den er nicht aussprach. Ich trug die Verantwortung. Ich hatte ihm das angetan. Ich hatte ihn nicht vor Dracon beschützt. Ich hatte ihn im Stich gelassen, als er eben in die Nacht geboren war. Er verlangte mir – und das zu recht – die Verantwortung ab, ihn zu erlösen, wenn er nicht fähig war zu tun, wozu ich ihn mit der Wandlung verurteilt hatte.
Ich nickte kaum merklich. Aber deutlich genug, um ihm ein verschlagenes Siegerlächeln abzugewinnen, das die Schwärze in seinem Herzen deutlicher zeigte als mir lieb war. Er war mein dunkler Sohn, der mich liebte. Und doch trug er es mir nach. Er hatte die Menschlichkeit seiner Mutter und die Finsternis seines Vaters. Göttin, wie hätte er jemals die Chance haben können, so zu überleben? Das wurde mir jetzt überdeutlich klar, hinterließ ein Gefühl von Schuld, das stärker war als er es beabsichtigt haben mochte.
Der Moment ging vorbei. Und das böse Grinsen in Warrens Gesicht mit ihm.
„Dracon würde mir nicht helfen, das weiß ich. Er würde daneben stehen und mir lächelnd zusehen, wie ich qualvoll krepiere. Ich bin ihm egal. Seit ich bin wie er, hat er das Interesse verloren. Wie an einem Spielzeug, das nur so lange interessant ist, bis man es endlich hat.“
Er klang bitter und ich konnte es verstehen.
„Verurteile ihn nicht, immerhin habe ich ihn fortgeschickt, nachdem er dir das angetan hat. Es ist nicht seine Schuld, dass er nicht für dich da ist.“
Eine weitere Last auf meiner Schulter. Ob Dracon ihn besser darauf vorbereitet hätte, ihm ein angemessener Lehrer gewesen wäre?
Er seufzte. „Ich habe schon mit Steven gesprochen. Wenn du fort sein solltest, wird er es tun. Er ist mein Freund, der beste, den ich je hatte.“ Er erhob sich und als ich ebenfalls aufstand nahm er mich in die Arme und küsste mich. „Ich liebe dich. Das habe ich schon immer. Auch wenn du es nie erwidert hast. Ich wünsche dir eine gute Jagd, Mel, wenn der Anruf kommt.“
Noch in derselben Nacht bat mich Sir Maxwell, ihm den Schlüssel zu bringen und ich verließ Gorlem Manor in dem Wissen, Warren seinem Schicksal zu überlassen und ihn vermutlich nicht lebend wiederzusehen. Sein Schmerz verfolgte mich den ganzen Weg, und auch wenn mir klar war, dass Sylions Tod gerecht und meine Aufgabe war, konnte das an den Schuldgefühlen gegenüber meinem dunklen Sohn nichts ändern.
Armand spürte nichts von einem Gift in sich, außer vielleicht dem Dämonenblut, doch das heilte zusehends seine Wunden, also kümmerte er sich nicht weiter um das eisige Brennen mit dem es durch seinen Körper jagte. Er hatte zwei frische Klingen aus den Flügeln des großen Dämons gerissen. Sie lagen wie schottische Claymore-Schwerter in seinen Händen. Damit gedachte er, jeden Feind in die Flucht zu schlagen, egal, was jetzt noch auf ihn zukam. Der Wahnsinn hatte ihn endgültig verlassen und er spürte, dass er der Freiheit näher kam. Diese Festung war dazu gedacht, jedes Wesen das hier landete zu brechen oder zu töten. Bei ihm war die Rechnung nicht aufgegangen, ganz im Gegenteil. Er fühlte sich durch die Prüfungen gestärkt, hatte über Dinge nachgedacht, die tief in ihm vergraben ruhten und Erkenntnisse gewonnen, die ihn seelisch wachsen ließen.
Als sich ein Torbogen in der Ferne abzeichnete, wusste er: Dies war der Weg nach draußen. Die letzten Meter rannte er, durchquerte die steinerne Wölbung und fand sich auf einer großen Plattform wieder, an deren Rand es tief nach unten in eine Grube voller Speere ging. Doch diesen Weg musste er nicht nehmen, auch wenn er sich inzwischen zutraute, ihn schwebend zu überqueren. Von der Plattform führte auch eine Treppe hinab, das Ende der Odyssee war endlich erreicht.
„Ich glaube kaum, was ich da sehe. Hast du es tatsächlich bis hierher geschafft? Aber nun ist Endstation!“
Armand fuhr herum und stand der
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