Ruf des Blutes 4 - Unschuldsblut (German Edition)
Gedanke an die Schuld, mit der ich dann leben musste, zerfraß mich innerlich.
Ein paar Tage später saßen wir abends zusammen im Wintergarten von Gorlem Manor und unterhielten uns. Warren wirkte gefasster denn je, aber auch endgültig. Ich spürte, dass er mir entglitt und rang mit den Tränen, weil ich es nicht aufhalten konnte.
„Ich weiß, dass ich nicht stark genug bin“, sagte er. „Es hätte nicht passieren dürfen.“
„Gibst du mir die Schuld?“, fragte ich und lächelte schwach.
Noch immer redete ich mir ein, dass er sich wieder fing, auch wenn mein Glaube daran allmählich schwand. Er erwiderte mein Lächeln und wirkte so schön und so dunkel, dass es mir im Herzen wehtat.
„Nein, ich gebe niemandem die Schuld. Ich hätte es vielleicht sogar selbst gewollt, wenn Dracon mich gefragt hätte. Schließlich hat er ja darauf hingearbeitet.“
Der letzte Satz klang zynisch und zeigte, dass er Dracon nicht so einfach verziehen hatte wie mir.
„Aber ich sehe den Tatsachen ins Auge“, fuhr er fort. „Ich werde sterben. Und das ist nicht zu ändern.“
„Du wirst nicht sterben“, widersprach ich sanft. „ Es war auch für mich nicht leicht am Anfang. Auch ich habe Monate gebraucht, um mich zurecht zu finden. Doch daran stirbt man nicht.“
Er hörte nicht auf zu lächeln, weil er sich schon damit abgefunden hatte und der Tod ihn nicht mehr schreckte. Aber er war fest davon überzeugt, dass sein Ende nahe war. Er spürte, was ich weit von mir schob, obwohl doch gerade ich es hätte spüren müssen. Wie selbstverständlich er damit umging. Wie sehr er bereits mit allem abschloss. Aber ich wollte es nicht wahrhaben.
„Der Tod gehört zum Leben. Mehr als je zuvor. Er ist mein Bruder. Mein Gefährte. Mein Geliebter. Und ich umarme ihn, wenn er kommt. Es macht mir nichts mehr aus.“
Er meinte seinen eigenen Tod, doch ich deutete es bewusst anders und tat so, als spreche er vom Tod seiner Opfer. Er ließ mich in dem Irrglauben, weil er merkte, dass es keinen Sinn machte, es mir näher zu erläutern.
„So wie du redest, kommst du besser damit zurecht, als ich. Und das heißt, dass du es geschafft hast, mit deiner Natur zu leben. Also mach dir keine Sorgen. Du weißt was du bist und du kannst damit leben. Liebst es sogar. Mehr kann unseresgleichen kaum erwarten.“
Ich wollte damit die Ängste zerstreuen. Allerdings mehr meine als seine. Vielleicht auch deshalb, weil ich sonst nicht in der Lage sein würde zu gehen, wenn der Anruf von Sir Maxwell kam. Mit dem Wissen, dass ich Warren vielleicht im Tode allein ließ, wäre ich nicht gegangen, doch ich durfte darauf keine Rücksicht nehmen, auch wenn es mir das Herz brach.
„Ich mache mir keine Sorgen, Mel“, sagte er geduldig. „Doch ich mache mir auch nichts mehr vor. Und ich möchte dich um etwas bitten.“
Ich schaute ihn abwartend an. Es schien ihm sehr ernst zu sein und ein wenig beunruhigte es mich nun doch.
„Der Tod macht mir nichts aus. Aber ich habe gehört wie das ist, wenn der Wahnsinn kommt. In der letzten Zeit habe ich es am eigenen Leib gespürt.“
Ich wollte widersprechen, doch er gebot mir mit einer Geste zu schweigen.
„Du brauchst es nicht schönzureden, ich weiß, dass es der Anfang vom Ende ist. Niemand kann es leugnen. Ich bin nicht mehr Herr meiner Sinne, und in den Momenten, wenn es mich überkommt, habe ich Angst vor mir selbst.“
Er zögerte. Mir wurde klar, dass Dinge geschehen sein mochten, von denen ich nicht das Geringste wusste, die ihm zu schaffen machten. Nur Steven war für ihn da gewesen, aber das war nicht dasselbe. Plötzlich war der Wahnsinn nicht mehr so unwirklich.
„Ich töte auf so grausame Weise und mit einer solchen Lust an der Qual meiner Opfer, dass ich mich hinterher vor mir selbst ekele“, gestand er.
„Das ist Dracons Blut.“ Ich versuchte es zu zerreden und wusste doch längst, dass ich gegen Windmühlen kämpfte.
„Nein“, sagte Warren bedächtig und schaute mich mit diesem tiefen Blick an, der von der Weisheit des jahrhundertealten Blutes in seinem jungen Körper kund tat. „Es ist die Unfähigkeit meiner Seele den Dämon im Zaum zu halten. Und daran werde ich sterben. Früher oder später.“
Noch einmal beteuerte er, dass der Tod an sich ihn nicht schreckte. Es war etwas anderes, vor dem er sich fürchtete.
„Mel, ich habe Angst, so zu sterben. Mich am Boden zu krümmen. Zu schreien, zu zetern, zu hadern. Ich will mit Würde sterben. Fähig, mich dem zu stellen, was mich
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