Ruf des Blutes 4 - Unschuldsblut (German Edition)
wenn man ihm gegenüberstand? Aber war es nicht albern, sich als Vampir vor einem Dämon zu fürchten?
„Denk an die Serpenias“, meinte Osira trocken, schnupperte am Hörer in meiner Hand und rümpfte die Nase. „Schlangenpack stinkt überall gleich.“
Das Erlebnis im Mausoleum hatte einen bleibenden Eindruck bei Jenny hinterlassen. Sie sehnte sich nach Josh mehr denn je, aber er machte sich einige Tage rar. Ein Glück, dass niemand ihre unerlaubte Abwesenheit bemerkt hatte. Josh war ihr Geheimnis, er gehörte ihr ganz allein. Ein bisschen sorgte sich Jenny schon, ob er jetzt, wo er einmal mit ihr geschlafen hatte, gar nicht mehr auftauchen würde. Umso erleichterter war sie, als sie seine Stimme hörte.
„Hallo Jenny. Komm doch zu uns herüber, ja? Ich habe dir etwas mitgebracht, wie versprochen.“
„Josh!“ Sie lief sofort zum Spiegel und diesmal stand er tatsächlich auf der glatten Silberfläche hinter ihr und legte die Hände aufihre Schultern. Ihr Spiegelbild lächelte sie an, weil sie über das ganze Gesicht strahlte. Aber Moment mal, sie selbst lächelte anders. Das Lächeln im Spiegel war nicht freundlich oder gar glücklich, sondern eher überheblich. Sie wich einen Schritt zurück. Dieses Mädchen im Spiegel sah aus wie sie. Es hatte ihre blauen Augen, ihre knabenhafte Figur, ihre langen blonden Locken. Aber trotzdem war da etwas an dieser anderen Jenny, das einen Schauer eiskalt über ihren Rücken laufen ließ. Herzlos, falsch, boshaft.
Jenny blickte starr in den Spiegel. In ihr Gesicht. Doch es war das Gesicht einer Fremden, das sie höhnisch anlächelte. Die Augen dunkel und verschlagen.
„Jenny, sag Hallo zu deiner Schwester“, raunte Josh diesem anderen Mädchen ins Ohr.
„Hallo, Jenny“, sagte es artig und neigte seinen Kopf vertrauensvoll gegen seinen Brustkorb.
„Ich lasse euch beiden Hübschen jetzt allein, damit ihr euch besser miteinander bekannt machen könnt. Aber ich komme bald wieder.“
Als Josh aus dem Spiegel verschwand, wollte Jenny am liebsten aufschreien. Sie hatte Angst, allein mit dieser anderen im Spiegel. Wer oder was war sie? Doch ganz bestimmt nicht ihr Ebenbild.
„Du hast dich verändert, liebstes Schwesterlein. Ist dir das nicht aufgefallen? Das liebe, folgsame Kind hat etwas Böses getan.“ Ihr Spiegelbild setzte sich auf der anderen Seite aufs Bett und streckte sich darauf aus. „Du hast die Büchse der Pandora geöffnet. Und jetzt kannst du sie nicht mehr schließen.“ Grinsend richtete sie sich wieder auf und beugte sich soweit vor, als wolle sie sich aus dem Spiegel herauslehnen. „Weißt du, wenn die anderen davon erfahren, was du Schlimmes gemacht hast, werden sie dich nicht mehr lieb haben. Sie werden dich sogar hassen und sich alle von dir abwenden.“
Jenny wich zitternd zurück, bis sie gegen ihr Bett stieß und darauf niedersank. Für einen Moment waren sie und der Spiegel wieder identisch, abgesehen von dem boshaften Glitzern in den Augen der anderen. „Nein“, hauchte sie, das Entsetzen lähmte ihre Glieder, raubte ihrer Stimme jede Kraft.
„Aber Jenny, natürlich werden sie das. Was glaubst du denn? Doch kümmere dich nicht darum. Du brauchst sie ja gar nicht mehr. Du hast doch jetzt ihn. Und mich.“
Die Spiegel-Jenny legte ihre Hand auf die glatte Scheibe und Jenny hatte das Gefühl, die eisigen Finger berührten ihr Herz. Es tat weh und panisch griff sie sich vor die Brust.
Als es an ihrer Zimmertür klopfte, fuhr sie wie von der Tarantel gestochen hoch und konnte gerade noch den Schrei verschlucken, der ihr in die Kehle stieg.
„Jenny, ist alles okay?“
„Ja, Franklin, alles bestens“, log sie, während sie zum Spiegel hinüberschielte. Aber diesmal war das Bild wieder nur eine Kopie ihrer selbst. Erleichtert atmete sie auf, da flüsterte jemand tief in ihr:
„Ich bin immer bei dir, Schwesterlein.“
Ihr stockte der Atem, aufsteigende Tränen schnürten ihr die Kehle zu und in ihrem Inneren war etwas mit einem Mal sehr, sehr kalt.
Trotz aller Bedenken hatte ich Stevens Einladung zum Drink angenommen. Wir düsten mit seinem Motorrad eine Weile durch die City, tranken dann einen Cocktail in seiner Lieblingsbar und fuhren schließlich hinaus in die Glades. Er hatte ein ebensolches Faible für die Sümpfe wie ich.
Ich wanderte ein Stück von ihm und seiner Maschine weg, beobachtete ihn vom Rand eines Wasserlochs, in dem sich mehrere Schatten erhoben. Die Tiere wurden unruhig in unserer Nähe, griffen aber
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