Ruf des Blutes 4 - Unschuldsblut (German Edition)
gedauert, bis Armand begriff, dass er nicht tot war, sondern immer noch aufrecht ging und in die nächste Ebene eingetreten war, die durch und durch aus Eis, Frost und Schnee bestand. Welodan war es gelungen, sich mit ihm zu verbinden und nun stellte er ihm seine Kraft zur Verfügung. Er wollte sich darüber freuen, doch es gelang ihm nicht. Diese Festung mit ihren Schrecken hatte ihm schon zu viel genommen. Seinen Kampfgeist, seine Hoffnungen. Wie viele Ebenen mochten noch auf ihn warten und welches Grauen hielten sie bereit?
Die Blutung hatte zumindest aufgehört, doch für Armand fühlte es sich an, als ob das Blut von der Wunde aus in seinem ganzen Körper langsam zu Eis gefror. Es breitete sich in seinen Venen aus, streckte seine Fühler Richtung Herz. Seine Beine zitterten ebenso sehr vor Schwäche wie vor Kälte. Nur den Schmerz der Wunde spürte er längst nicht mehr, dafür umso mehr andere. Bei jedem Atemzug krampfte sich seine Lunge mehr zusammen, revoltierte gegen die eisigen Stacheln, die sich tief ins Gewebe gruben. Darum versuchte er, so wenig wie möglich zu atmen, aber es gelang ihm nur mäßig, denn auch die Kontrolle der Reflexe erforderte Kraft, die er nicht länger besaß. Seine nassen Kleider waren inzwischen steif und erstarrt, erschwerten jede Bewegung und die nackten Füße waren bereits blau verfärbt und ohne jedes Gefühl.
Recht und links von ihm erkannte er Schemen im Blizzard, der irgendwann eingesetzt hatte und sich von Minute zu Minute verdichtete. Groteske Zerrbilder von Wesen, die wohl ähnlich wie er eine Flucht aus dieser Festung versucht hatten und hier gescheitert waren. Für immer eingefroren, eine Warnung an jeden, der es ebenfalls wagte. Ob er wohl bald einer von ihnen sein würde? Er zweifelte nicht daran, fühlte sich jetzt beinah schon so. Wenn er stehen blieb, brauchte der Blizzard sicher nur wenige Minuten und er stand als ebensolche Eisfigur auf dieser Ebene, wie alle anderen auch. Also musste er in Bewegung bleiben, doch wie lange konnte er das noch? Immer häufiger geriet er ins Straucheln, weil seine tauben Beine unter ihm nachgaben. Einige Male fiel er in den weichen Schnee und es erschien ihm so verlockend, einfach nachzugeben. Sich von dem Schnee zudecken lassen, dem schmeichelndenVergessen erliegen, den Qualen entkommen. Sein Herz schlug langsam, ein einschläfernder Rhythmus. Vor seinem inneren Auge sah er Mel, seine Mel. Wie eine Eisprinzessin in blauem Kleid tanzte sie vor ihm im Schnee, streckte ihre Hände aus. Er wollte sie ergreifen, mit ihr forttanzen aus der Wirklichkeit, doch ein Wirbel aus Schneeflocken hüllte sie ein und nahm sie mit sich fort.
„Nein!“, rief er und kämpfte sich wieder auf die Beine. Sein Herz fühlte sich entzweigerissen an. Wenn Blutstropfen aus seiner Brust den Schnee vor ihm rot gefärbt hätten, wäre er darüber nicht verwundert gewesen. Alles war so unvollständig und kalt, kälter noch als das Eis dieser Antihölle, ohne sie. Panisch sah er sich um, versuchte im Sturm etwas zu erkennen, drehte sich um seine eigene Achse, bis er kaum mehr wusste, woher er gekommen war und wohin er wollte. Wo war sie nur, seine Schneekönigin?
„Weiter!“, drängte Welodans Stimme. „Es ist nur eine Illusion. Wie eine Fata Morgana. Du darfst nicht stehen bleiben.“
Er stolperte einige Schritte voran, wischte sich fahrig über die Augen. Seine Hände bekamen etwas Weiches zu fassen. So seidig wie ihr Haar und fast ebenso rot, doch es war nur der Umhang eines erstarrten Kriegers, dem sein Schwert nicht geholfen hatte. Ganz in der Nähe kauerte eine Frau mit dunklen Haaren und hielt ein kleines Kind unter sich verborgen, ihrer beider Haut kristallblau und mit Eisblumen überzogen. Sie wirkten so lebendig, doch als er über die kalten Wangen strich, fühlten sich diese an wie Fels.
Warum waren diese Geschöpfe hier? Menschen, Feen, Kobolde, Weren. Wer war der Herr dieser Festung und zu welchem Zweck holte er so unterschiedliche Arten in sein Heim, um sie auf erbärmliche Weise in einer der vielen Ebenen sterben zu lassen? Die Unmenschlichkeit löste in Armand eine unbändige Wut aus. Hitze durchflutete ihn, taute das Eis, das sich bereits um seine Seele legen wollte und trieb ihn mit energischen Schritten vorwärts. Es gab einen Weg hier heraus. Und er würde ihn finden, solange sein Herz noch schlug und auch nur eine einzige Faser von ihm weiterkämpfen konnte.
Ich sandte Dracon in der kommenden Nacht eine stumme Botschaft, dass
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