Ruf des Blutes 4 - Unschuldsblut (German Edition)
Macht an sich zu reißen und war dabei stets geschickt gewesen. Die Drecksarbeit hatte sie immer anderen überlassen und war im Hintergrund geblieben.
Mein Vater schenkte sich Brandy nach, seine Hand zitterte. Ich machte mir Sorgen um ihn. Von dem starken Ashera-Vater, der mich einst mühelos in meine Schranken gewiesen hatte, war nur noch ein Schatten geblieben. Das hatte mehrere Gründe. Er war einsam, seit Johns Tod. Einen Teil seines Platzes hatte Warren nicht ausfüllen können, denn die beiden waren jahrzehntelang Freunde und Vertraute gewesen, hatten Höhen und Tiefen miteinander erlebt, Krisen im Londoner Mutterhaus gemeistert und alles durchgestanden. Er fehlte meinem Vater, wie einem der Zwilling fehlen mochte. Mir wurde die Stärke ihrer Bindung erst jetzt richtig bewusst.
Außerdem machte ihm das Alter zu schaffen, das nun unaufhaltsam voranschritt. Wieder überlegte ich, ihm mein Blut anzubieten, doch ich kannte seine Antwort.
Und zu guter Letzt vermisste auch er Armand. Ihre platonische Liebe hatte ihm viel Kraft gegeben und nachdem sie ihre Affäre wieder aufgefrischt hatten, war das Band noch viel enger geworden. Doch dann hatte Armand ihn verlassen, um eine für Vampire untypische, monogame Beziehung mit mir zu führen. Sogar Heiratspläne hatten wir geschmiedet. Dad’s Freude mit uns war echt gewesen, doch wie es in seinem Inneren sonst aussah, konnte niemand sagen, brachte es ihm doch Entbehrungen. In Leidenschaft und vor allem im Blut.
Und jetzt zehrte die Sorge wegen Darkworld und der Gefahr für mein Leben ihn aus. Erneut wurde mir klar, dass Unsterblichkeit leicht dahingesagt war, aber wie unsterblich waren wir wirklich? Es gab auch für uns tausend Wege zu sterben und dieser Sir Maxwell kannte mindestens einen davon.
Mit einem Mal änderte sich die Atmosphäre im Raum und Franklin verharrte mitten in der Bewegung. Er lauschte ebenso wie ich. Was hier gerade geschah, kam häufiger vor, doch so bewusst wie diesmal war es uns selten. Für einen Moment stand die Zeit still. Schwieg selbst das Ticken der antiken Standuhr, erstarrten die tanzenden Flammen im Kamin. Unser Atem und unser Herzschlagsetzten aus. Ich spürte die Kälte, die solch ein toter Augenblick immer mit sich führt. Die Kälte der anderen Seite, wenn sich das Tor kurz öffnet und der eisige Hauch die lebende Welt erstarren lässt. Einen Wimpernschlag lang. Wie oft hat ein jeder Mensch dies schon gespürt und doch nicht wahrgenommen. Weil sie die Sinne dafür verloren haben, und weil sie es nicht wahrhaben wollen. Den Tod lieber verdrängen. Doch mit welchem Sinn? Irgendwann holt er uns alle ein.
Der Augenblick ging vorüber. Ich hörte wieder das Ticken der Uhr und spürte die Hitze des Feuers. Mein Vater seufzte leise. Auch er wusste, dass der Tod an uns vorbeigestrichen war. Uns hatte er nicht holen wollen. Und welche arme Seele auch immer heute Nacht in seine Umarmung sinken und sich verlieren würde, wir würden es nicht erfahren – auch nicht danach fragen.
„Ich habe so einen Moment schon sehr lange nicht mehr so intensiv gespürt“, flüsterte Franklin.
„Ich auch nicht. Es sind die Umstände.“
Er nickte und starrte in die tanzenden Flammen. „Es macht mir Angst, Mel.“
Ich legte behutsam meine Hände auf seine Schultern, atmete tief durch und stellte die Frage, die ich nicht stellen durfte.
„Möchtest du es von mir empfangen? Das Dunkle Blut? Nur ein wenig. Es würde deine Seelenqualen lindern.“
Er lachte bitter auf. „Oder sie verschlimmern.“ Er bereute die Härte seiner Stimme sofort, denn er ergriff meine Hand und drückte sie zärtlich. „Verzeih, du hast es gut gemeint. Ich danke dir, doch damit würde nur alles wieder von neuem beginnen. Und wofür? Willst du regelmäßig kommen und mich trinken lassen? Wohin soll das führen? Dass wir doch irgendwann die Beherrschung verlieren und eine Sünde begehen, mit der wir beide nicht leben wollen?“
Nun war ich es, die schluckte. Sinnlos, das Begehren zu leugnen, gleich wie gut wir es unter Kontrolle hatten. Aber der Dämon war eben immer wach und scherte sich nicht um Blutsbande.
Gemeinsam schlenderten wir durch die dunkle Parkanlage. Jenny war jetzt sechzehn und zu einer wunderschönen Frau herangewachsen. Sie war stark. Unglaublich stark. Ich konnte ihre Kraft fühlen, während ich neben ihr herschritt. Sie brannte in ihr, verzehrend und mächtig, doch Jenny hatte sie bemerkenswert gut unter Kontrolle. Ihre Fähigkeiten waren schon
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