Ruf des Blutes 4 - Unschuldsblut (German Edition)
seit längerem voll ausgereift und sie beherrschte sie mit einer Leichtigkeit, die einen nur in Erstaunen versetzen konnte. Nicht mehr lange, und Franklin würde sie auf ihre erste Außenmission mitschicken. Er hatte gar keine andere Wahl, trotz ihrer Jugend. Sie war einfach zu qualifiziert, um sie noch länger in Gorlem Manor einzusperren.
Nach meiner Wandlung war sie eine der Ersten gewesen, die es erfahren hatten. Und sie war mir nicht einen einzigen Tag mit Angst begegnet. Sie fürchtete mich nicht, sie vertraute mir. So, wie sie auch schon Armand vertraut hatte. Wir waren keine Bedrohung für sie. Und wären wir es gewesen, hätte sie sich uns nicht kampflos ergeben müssen. Damals nicht und heute noch viel weniger. Aber so sicher sie vor meinem Durst war, so sicher war ich vor ihren Kräften.
Dennoch spürte ich auch die Sorge, die sie heute in ihrem Herzen trug. Der Grund, weshalb sie auf das Gespräch unter vier Augen gedrängt hatte. In Gorlem Manor gingen derzeit viel zu viele unheimliche Dinge vor, die niemand brauchen konnte. Leider bestand nicht immer die Möglichkeit, Einfluss auf den Zeitpunkt zu nehmen, an dem solche Dinge auftraten. Doch wovor mochte sie sich fürchten? Sie hatte mich beim Abendessen erneut eindringlich darum gebeten, allein mit mir reden zu können. Nun wanderten wir unter dem strahlenden Sternenhimmel und einem silbrigen Halbmond durch den Garten von Gorlem Manor. Was immer sie auf dem Herzen hatte, kam ihr nur schwer über die Lippen.
„Du wolltest doch sicher nicht das wunderschöne Mondlicht mit mir bewundern“, drängte ich sie sanft.
„Nein“, gestand sie und lächelte schüchtern wie eh und je. „Mir ist etwas passiert und ich weiß nicht, was ich jetzt tun soll. Ich weiß, ich kann dir vertrauen.“
„Natürlich kannst du das. Aber ich kann dir nicht mein Schweigen versprechen, wenn es etwas sein sollte, das Franklin wissen muss, das ist dir klar, oder?“
Sie nickte hektisch, presste die Lippen so fest aufeinander dass ich schon glaubte, sie wolle gar nicht mehr reden.
„Ich hatte eine Begegnung.“
Ich wusste, was sie meinte. Einen Kontakt zu etwas nicht Menschlichem.
„Es ist ein besonderer Kontakt“, erzählte sie weiter. „Es scheint … ein Geist zu sein.“
„Ein Geist?“
„Na ja, er kommt nur nachts zu mir. Und er benutzt Spiegel.“
Etwas im Klang ihrer Stimme beunruhigte mich und so blieb ich stehen. Ich fasste sie sanft bei den Schultern und drehte sie zu mir um.
„Erzähl mir alles.“
„Es war vor ein paar Monaten. Ich hab mich so einsam und überhaupt nicht ernst genommen gefühlt. Alle sehen nur das kleine Mädchen in mir, niemand nimmt mich als Frau war.“
Sie schob schmollend die Unterlippe vor, worüber ich lächeln musste. Haben wir das nicht alle durchgemacht?
„Da kam er dann eines nachts zu mir. Er ist durch den Spiegel gekommen und hat mich verstanden. Er hat leise zu mir gesprochen, mit einer wunderschönen Stimme. Er wusste genau, was in mir vorging und wonach ich mich gesehnt habe.“
Röte überzog ihre Wangen und ich sog zischend die Luft ein. Ein Inkubus?
„Jenny, wer ist er?“
Ich klang härter als beabsichtigt, doch da war eine böse kleine Schlange tief in mir, die mir zuflüsterte, dass es nicht beim Reden geblieben war und ich musste verdammt noch mal sofort wissen, was für ein Dämon sich ihr Vertrauen erschlichen hatte.
„Bitte sei nicht böse“, bat sie mit Tränen in der Stimme.
„Ich bin nicht böse auf dich, Jenny, aber ich will wissen, wer er ist und was er mit dir gemacht hat.“
„Warum? Wieso ist das so wichtig?“
„Liebes, vielleicht bist du dir nicht darüber im klaren, aber was du da erzählst, klingt sehr nach einem Inkubus. Nach einem Dämon, der mit deinen Sehnsüchten spielt. So ist es doch, oder?“
Sie hielt meinem eindringlichen Blick nicht stand, was Antwort genug war. „Er kann gar nicht böse sein, Mel. Er ist wunderschön. Und er hat so sanfte dunkle Augen. Fast so grün wie deine.“
„Jenny, hör auf mir auszuweichen, das ist kein Spaß. Wie ist sein Name und hat er mit dir geschlafen?“
Sie nickte zögernd. „Er heißt Josh.“
Josh war garantiert nicht sein richtiger Name. Aber das ließ sich bestimmt irgendwie rausfinden. Die Ashera war immerhin nicht ganz unbewandert auf diesem Gebiet. Göttin, musste eigentlich immer alles zusammen kommen? Ich hätte in Miami bleiben und Franklins Bitte wegen des paranormalen Untergrundes von vornherein ablehnen sollen.
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