Ruf des Blutes 5 - Erbin der Nacht (German Edition)
Dracons.“
Sein Gesichtsausdruck, irgendwo zwischen Abscheu und Wut, wirkte wie ein Schlag in die Magengrube, der mir die Luft nahm.
„Es war mein Blut, das ihn verwandelt hat“, stellte ich atemlos klar.
„Sehr richtig. Und wie viel hat er von Dracon getrunken, seit seinem vorgetäuschten Suizid? In seinen Adern fließt mehr Blut von Luciens Sohn als von dir. Er hat ihn geprägt, gelehrt, geleitet. Und Dracon hat schon einmal mit Kaliste sympathisiert, um seinen Hals zu retten. Warum sollte er es nicht wieder tun?“
Heiße Tränen stiegen mir in die Augen, verschleierten meinen Blick. Der Streit eskalierte, ich spürte es. Aber nachgeben kam nicht infrage. Wie eine Wölfin, die ihr Junges verteidigen musste, biss ich weiter um mich.
„Warrens Suizid war nicht vorgetäuscht. Er wollte sterben. Es war nicht seine Entscheidung, dass Dracon ihn gerettet hat. Aber ich bin verdammt froh, dass er es getan hat. Du siehst immer nur das Schlechte in ihm, aber er hat ein Herz. Und manchmal frage ich mich inzwischen, ob du deines verloren hast.“
Meine Worte verletzten ihn. Seine Gesichtszüge versteinerten, die rauchgrauen Augen wurden dunkel wie Schiefer. Er atmete gepresst und überlegte sich jedes seiner Worte genau.
„Ich habe mein Leben für dich riskiert, mon coeur. Mehr als ein Mal. Habe meine Natur verleugnet, um dich zu schonen. Und selbst jetzt, wo wir beide übereingekommen sind, zu sein, was wir nun mal sind, behellige ich dich nicht mit dem, was ich tue, wenn ich allein auf die Jagd gehe. Ich schütze dich, lasse dir deinen Willen und stelle dich nicht infrage. Bin an deiner Seite und bereit, das Schicksal mit dir zu tragen, dass dir offenbar bestimmt ist, selbst wenn es bedeutet, dass es unser beider Leben kostet. Wie viel Rücksicht und Verständnis erwartest du noch von mir, Mel?“
Ich fühlte mich in die Enge getrieben, weil jedes seiner Worte der Wahrheit entsprach. „Ich erwarte gar nichts, aber es ist nicht fair, dass du einem Wildfremden vertraust und Warren beschuldigst, nur weil er mit Dracon zusammenlebt. Wenn das Blut so einen großen Einfluss nehmen würde, warum hat es das bei mir nicht? Ich habe zwei Mal mehrere Monate in Luciens Obhut verbracht, von ihm getrunken und mich nicht verändert.“
Er wurde sehr still, aller Zorn wich aus seinen Zügen, bis der Blick völlig leer war, was mir fast noch mehr Angst machte, als unser Streit.
„Oh doch, Mel, es hat dich verändert. Du merkst es nur nicht. Es hat dich sehr verändert, dich auf dein Schicksalvorbereitet, so gern ich es auch verhindert hätte. Ich stehe zu dem, was die Festung ohne Wiederkehr aus mir machte. Dass das Blut der Dämonen dort seine Spuren in mir hinterlassen hat. Du hingegen bildest dir ein, immer noch die sanfte Vampirin mit der menschlichen Seele zu sein, der ihr eigenes Spiegelbild im Wasser der Seine in Paris Tränen über die bleichen Wangen fließen ließ und die an eine reine, unschuldige Liebe glaubte, inmitten von Blut und Lust und Macht. Glaub mir, du bist davon weiter entfernt als jeder andere von uns – Dracon eingeschlossen“.
Auch nach diesem Streit folgte die Versöhnung. Armand und ich konnten einander nie lange böse sein. Er nahm mich in die Arme und küsste die letzten Flammen des Zorns hinfort, verwandelte sie in ein anderes Feuer. Mein Liebster trug mir keines meiner Worte nach, doch mich brachte die Wendung dieser Auseinandersetzung ins Grübeln. Was Armand gesagt hatte, brannte sich tief in meine Seele ein, nagte an mir wie eine listige kleine Ratte. Zum ersten Mal setzte ich mich bewusst damit auseinander, wie mich die letzten Jahre verändert haben mochten. Es war mir nicht aufgefallen, doch jetzt sah ich es selbst.
Die Erinnerung an meine erste Nacht in Unsterblichkeit, das Wiedererwecken der Gefühle, die in meinem Inneren tobten, machte mir klar, dass die junge Frau, die ihrem dämonischen Geliebten in die Katakomben unter Notre-Dame gefolgt war, um sich selbst, ihre Vergangenheit und die wahre Liebe zu finden, längst nicht mehr existierte. Aber noch viel erschreckender war, dass daran nicht Luciens Blut schuld war oder seine harte Schule, mit der er meine Menschlichkeit zum Schweigen bringen wollte. Wie bei jedem Sterblichen, war es auch bei mir die Summe der vielen Kleinigkeiten, die sich seit meiner Wandlung ereignet hatten.
Ich wusste nicht, ob Armand sich darüber im Klaren war, als er mir diese Worte entgegenschleuderte, doch er hatte mir damit etwas von dem
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