Ruf des Blutes 5 - Erbin der Nacht (German Edition)
gekommen. Nur seine Augen blickten so wach und scharf wie eh und je. Unerbittlich, als er sich jetzt straffte und ohne Bedauern in der Stimme seine Pflicht als Schöffe des Magisters erfüllte.
„Franklin, ich muss Sie darüber informieren, dass uns Informationen zugetragen wurden, die Zweifel erwecken,ob Sie Ihren Aufgaben weiterhin gewachsen sind. Man hat daher entschieden, Sie bis auf Weiteres von allen Pflichten freizustellen und Maurice vorübergehend Ihre Position zu übertragen, da er mit den Aufgaben am besten vertraut ist. Dies ist eine vorläufige Entscheidung, bis über die weiteren Schritte eine Einigung erzielt werden kann.“
Äußerlich nahm Franklin diese Offenbarung mit stoischer Gelassenheit hin. In seinem Inneren hingegen tobte ein Orkan aus Gedanken und Emotionen. Fast dreißig Jahre war er das Oberhaupt von Gorlem Manor, hatte sich die Position hart erkämpft und dem Orden treu gedient. Und jetzt wurde alles innerhalb von Sekunden beiseite-gewischt und er degradiert. Maurices selbstgefälliges Grinsen war nicht halb so schlimm, wie das Gefühl, verraten worden zu sein. Seine Möglichkeiten, Melissa jetzt noch zu unterstützen, waren damit eingeschränkt, Gorlem Manor auch für Armand kein sicherer Ort mehr.
„Sie werden verstehen, dass Ihnen unter diesen Umständen die Privaträume des Obersten nicht länger zur Verfügung stehen. Ihre Sachen wurden bereits in ein Quartier gebracht.“
Erniedrigend, dass sie in seiner Abwesenheit die Privatsphäre verletzt hatten. Eine Genugtuung jedoch, dass Maurice die Zimmer des Ashera-Vaters nicht beziehen durfte. Er trug für den Augenblick die Verantwortung, doch er war nicht zum neuen Leiter ernannt und besaß daher ebenso wenig ein Anrecht darauf wie Franklin derzeit.
„Sie bleiben selbstverständlich in Gorlem Manor und behalten jegliche Freiheit.“
Er war demnach kein Gefangener, noch nicht mal ein Angeklagter. Nur jemand, dem das Magister vorübergehend sein Vertrauen entzog.
„Alle übrigen Aufgaben, die von der Position des Vaters losgelöst sind, behalten ihre Gültigkeit, und ich erinnere Sie noch einmal an Ihre Verschwiegenheitspflicht. Da es Ihnen nicht zusteht, einen Nachfolger zu bestimmen und Maurice die Befugnisse nur vorübergehend innehat, um einen reibungslosen Fortgang zu gewährleisten, darf weder ihm noch jemand anderem durch Sie das Wissen eines Obersten zugänglich gemacht werden.“
„Natürlich nicht“, antwortete Franklin. Seine Stimme klang fest und souverän wie immer. „Ich werde mich an den Kodex halten wie üblich.“
„Gut, gut!“, bekundete William. „Ich hoffe in aller Interesse, dass sich die Angelegenheit bald klären lässt.“
Das hoffte Franklin auch. Es war nicht schwer zu erraten, dass er Rybing diese Schmach zu verdanken hatte. Doch es gab nichts, was er ihm vorwerfen konnte. Keine Beweise oder auch nur Anhaltspunkte, die belegten, dass er gegen die Ordensinteressen gehandelt hatte. Zu diesem Ergebnis sollte auch eine Untersuchung führen, weshalb er sie nicht zu fürchten brauchte. Das hoffte er zumindest. Oder war Rybing abgebrüht und gewitzt genug, ihm etwas unterzuschieben?
William ließ sich nicht anmerken, was er von den Anschuldigungen hielt, ob er für oder gegen Franklin war. Ihm konnte man nie etwas vom Gesicht ablesen. Mit ein Grund, warum er zum Schöffen des Magisters ernannt worden war. Das einzige Mitglied im Übrigen, das allen Ordensleitern von Angesicht bekannt war, weil er die Entscheidungen des Tribunals überbrachte. Für alle anderen – nicht Eingeweihten – war er das Sprachrohr der obersten Ashera-Zentrale, was grundsätzlich stimmte. Doch das Wort Magister und die Macht innerhalb des Ordens, die es besaß, durfte niemals vor den gewöhnlichen Mitgliedern ausgesprochen werden. Nur die Ordensleiter, deren Stellvertreter und zwei ausgewählte und vom Magister als würdig befundene Nachfolger für beide Posten waren eingeweiht. So wollte es das Protokoll.
Für das Magister selbst galten noch strengere Richtlinien und niemand außerhalb dieses Tribunals wusste, wer sie waren.
Franklin dachte an den Abend zurück, als er und Joanna von Carl und Camille zu einem Gespräch unter acht Augen gebeten worden waren und man ihm und Melissas Mutter das Geheimnis um das Magister offenbart hatte, weil sie der Nachfolge als würdig erachtet wurden. Wer welche dieser beiden Positionen bekommen sollte, ließ man offen.
Als Joanna starb, war praktisch klar, dass Franklin Carls Ämter
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