Ruf des Blutes 5 - Erbin der Nacht (German Edition)
herbeigeführt, sagte sie, wir trügen beide Narben. Sie auf der Haut, ich auf der Seele. Wusste sie, dass ihre Mutter tot war? Dass wir sie auf dem Friedhof von Gorlem Manor bestattet hatten?
Während ich mir diese Fragen stellte, drehte sie sich zu mir um und lächelte.
„Du hast nichts von mir zu befürchten. Damals nicht, heute nicht und auch in Zukunft. Ich weiß von Margrets Tod und ich betrauere ihn nicht. Möge ihre Seele Frieden finden, das liegt nicht länger in unserer Hand.“
Sie wandte sich Armand zu. „Ich weiß, du lässt sie nicht gern allein. Gerade jetzt, wo die Gefahr so nahe ist und von überall her droht. Doch sei gewiss, ich gebe Acht. Aber was ich zu sagen habe, geht nur Missa und mich etwas an. Darum muss ich dich bitten, sie ein letztes Mal in meiner Obhut zu lassen.“
Armand erhob sich und trat auf Serena zu. Sie wich nicht zurück, dennoch sah man ihr die Anspannung an. Armands Züge waren unergründlich. Der Blick drang tief in ihre Seele – Serena hielt ihm stand.
„Eine Stunde“, sagte er schließlich.
Im Vorbeigehen drückte er meine Hand. Erst diese Geste machte mir bewusst, dass ich den Atem anhielt.
Nachdem wir allein waren, legte Serena den Mantel ab und nahm auf einem Sessel Platz. Was sie auf dem Herzen hatte, bedrückte sie. Es fiel ihr nicht leicht, die rechten Worte zu finden.
„Möchtest du etwas trinken? Ich kann dir einen Tee machen.“
Sie schüttelte den Kopf. „Danke, nein. Wir haben nicht viel Zeit und ich weiß kaum, wo ich beginnen soll.“
Um sich zu sammeln, legte sie die Handflächen aneinander und atmete ein paar Mal tief durch. Ich war versucht, es ihr gleichzutun, stattdessen setzte ich mich ihr gegenüber und wartete.
„Mich quälen Träume. Seit vielen Nächten schon. Ich habe lange mit mir gerungen, ob ich zu dir kommen soll, doch ich bin dir noch immer etwas schuldig.“
„Unsinn“, wiegelte ich ab. „Du schuldest mir nichts. Du hast doch selbst genug gelitten.“
Sie rang sich ein Lächeln ab und schüttelte den Kopf. „Wir wissen beide, dass das nicht stimmt. Ich würde mir nie verzeihen, wenn dir etwas geschieht und ich geschwiegen habe.“
Ihre Worte lösten eine unbestimmte Unruhe in mir aus. Das Wissen, dass ich tatsächlich die Gefahr mit ihr ins Haus gelassen hatte, wenngleich sie nicht direkt von ihr ausging.
„Du bist eine Gejagte. Ich höre es im Flüstern des Windes. Beide Seiten sind hinter dir her, weil du zu keiner gehörst. Kein Mensch mehr, doch an die Menschen gebunden. Das ist nicht gut. Vielleicht wäre es an der Zeit, eine Wahl zu treffen.“
Ich senkte traurig den Blick. „Die habe ich bereits getroffen. Als ich Armand nach Notre-Dame folgte und dort den Kuss der Unsterblichkeit von ihm empfing. Eine andere Wahl gibt es nicht mehr.“
„Und wenn doch?“
Die Frage traf mich unvorbereitet. Was meinte sie damit?
„Ich kann dich wieder sterblich machen“, sagte sie mit entschlossener Stimme. „Willst du das? Wieder sterblich sein? Aber ich muss dich warnen, der Preis ist hoch.“
Ich spürte, wie meine Hände feucht wurden und zu zittern begannen. Seit meiner Wandlung hatte ich nie ernsthaft darüber nachgedacht, obwohl die Sehnsucht manchmal vorhanden war. Tatsächlich erneut die Wahl zu haben stellte mich unweigerlich vor die Frage, ob ich noch einmal dieselbe Entscheidung treffen würde.
„Wie hoch?“, brachte ich mühsam hervor.
„Ein Menschenleben“, antwortete sie schlechthin.
Das ernüchterte mich. „Du willst damit sagen, dass du weißt, wie ich zu töten bin. Gut, das kann ich auch selbst tun, wenn ich es will. Oder mich einfach den Sangui oder bestimmten Gruppen des PU ausliefern. Diese Bürde musst du dir also nicht aufladen und sterben will ich noch nicht.“
Sie lachte leise und unendlich traurig. „Oh, nicht doch. Nicht dein Menschenleben, Missa. Wenn es so einfach wäre … ich hätte es nicht einmal in Erwägung gezogen, dich aufzusuchen und dir dieses Angebot zu machen, wenn es darum ginge, dein unsterbliches Leben zu beenden, denn nichts liegt mir ferner. Aber mir wurde die Gnade – oder der Fluch – zuteil, den Blutkuss rückgängig zu machen. Ich kann dich wieder sterblich machen. Für das Leben eines anderen Menschen. Du bestimmst, wer es ist, und sein Leben wird deines werden. Dann geht seine Zeitspanne auf dich über, bis der Tod zur ihm zugedachten Stunde an deine Türe klopft, wie bei jedem anderen Menschen auch.“
Wieder musste ich daran denken, welches Gefühl
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