Ruf des Blutes 5 - Erbin der Nacht (German Edition)
Reich betreten. Diesmal allein.
„Guten Abend, Eure Eminenz.“
Er zuckte zusammen, sprang auf und fasste sich ans Herz. Ich konnte es schlagen hören, doch nicht so heftig, dass ich um sein Leben gefürchtet hätte. Nicht so heftig, wie ich es mir wünschte. Meine Anrede war nicht korrekt, doch mehr Ehre gewährte ich ihm nicht.
„Wer sind Sie? Wie kommen Sie herein?“
Ich schüttelte den Kopf, ließ ihn nicht aus den Augen. „Ihr wisst so gut wie ich, was ich bin. Wer ich bin. Schließlich jagt Ihr mich schon eine Weile. Aber wichtig ist heute Nacht nur eins: Ich bin die Botin Eures Todes – nicht mehr, nicht weniger.“
Meine Worte ängstigten ihn. Er umfasste das goldene Kreuz und schickte sich an, es mir entgegenzuhalten. Wie lächerlich.
„Verschont uns beide mit diesem Unfug“, erklärte ich. „Mich kümmern keine Kruzifixe, Weihwasser oder heiliger Boden, sonst stünde ich kaum hier vor Euch. Es gibt nichts in diesen Räumen, mit dem Ihr mich bannen oder gar niederstrecken könntet. Und im Grunde wisst Ihr das auch.“
Er schluckte, seine Beine zitterten.
„Setzt Euch doch wieder, bevor Ihr zusammenbrecht“, bat ich freundlich und wies auf seinen Stuhl vor dem PC.
Sein Blick glitt zur Tür, er gedachte, um Hilfe zu rufen, was mich lachen ließ.
„Es ist niemand da, der Euch hören oder zu Hilfe eilen kann. Oh, macht Euch keine Sorgen“, fuhr ich fort, als er noch eine Spur bleicher wurde und meinesgleichen damit Konkurrenz hätte machen können. „Sie leben alle noch. Und daran wird sich auch nichts ändern, jedenfalls nicht durch meine Hand.“
Er glaubte mir, es bestand schließlich kein Grund, es nicht zu tun. Langsam nahm er wieder Platz, während ich näher trat und ihn ausdruckslos musterte.
„Es werden keine Antworten mehr kommen, Eminenz. Ihr seid der Letzte.“
Seine Lippen öffneten sich. Mir fiel auf, wie bläulich sie waren. Beinah ergriff mich Mitleid. Er war ein Greis, gebrechlich, vom Leben gezeichnet und verhärmt von Dingen, die er als unumstößlich betrachtete. Seines eigenen Unglücks Schmied. Die Altersflecken auf seiner Haut stachen deutlich hervor, seinen Händen fehlte die Kraft. Doch seine Überzeugungen waren so stark und unveränderlich wie eh und je.
„Es ergab alles einen Sinn, als ich Euren Namen las. Niemals hätte ich gedacht, dass Ihr einen paranormalen Orden befehligt, doch dann, schwarz auf weiß, erschien mir nichts logischer. Gut und Böse, Himmel und Hölle, Gott und Teufel. Das alles liegt so viel näher beieinander, als die Menschen ahnen – oder wir. Jetzt verstehe ich, warum Ihr es damals so vehement abgelehnt habt, dass die Ashera hilft, den Sapyrion zu stoppen. Ihr hattet Angst. Wir wären Euch zu nah gekommen. Und außerdem besaßt Ihr ja Euer Gottvertrauen, dass Eure Jäger schon mit ihm fertig werden würden. Damals konntet Ihr nicht ahnen, wer ihn befehligt, und dass kein Sterblicher ihn je zu zügeln vermocht hätte. Nicht einmal Armand und ich wussten es, wir hatten einfach Glück und die richtige Intuition.“
„Ihr habt uns bestohlen!“
Ich zuckte die Achseln. „Nur dem Sapyrion abgenommen, was er holen sollte, was auch Ihr gestohlen hattet vor vielen Jahrhunderten, und mehr zum Schaden denn zum Nutzen der Menschheit eingesetzt habt.“
„Sie gehörten uns!“
„Des Teufels Tränen? Wohl eher Insignien der Gegenseite.“
Er kniff die Lippen zusammen, legte eine Faust auf den Tisch und betrachtete mich wachsam. „Was wissen Sie schon? Ihresgleichen trachtet danach, sich zu den Herren der Welt aufzuschwingen, aber das wird niemals geschehen.“
Wie konnte ein Mensch nur so verbohrt sein – und so verlogen. „Wer die Herrschaft auf Erden anstrebt, lassen wir wohl besser dahingestellt sein. Ich bin es sicher nicht. Und auch die meisten meiner Art nicht. Aber Ihr glaubt, über alles bestimmen und verfügen zu können, wie es Euch beliebt. Dass Euch beide Seiten dienen müssen. Anfangs habe ich mich noch gefragt, warum ein Orden von Dämonenjägern plötzlich mit dem Paranormalen Untergrund gemeinsame Sache macht, doch dann wurde mir bewusst, dass sie so den PU systematisch in zwei Lager spalteten. Und seit ich die Namensliste des Magisters …“ Ich sah ihn zu meiner Zufriedenheit zusammenzucken. „… eingesehen habe, verstand ich es. Ihr braucht uns. Ihr braucht einen Gegenspieler auf Erden – als Daseinsberechtigung. Heute mehr denn je, wo die Menschen ihren Glauben verlieren. Jemand muss wieder anfangen, ihre
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