Ruf des Blutes 5 - Erbin der Nacht (German Edition)
froh, dass dir die Erinnerung daran fehlt. Und du hast mich angesengt.“
„Tut mir leid“, sagte Warren, ohne es so zu meinen. Er rieb sich die Hände an den Hosen, ein Impuls. Dracon machte ihn nervös. Er war ihm dankbar, denn jetzt wollte er nicht mehr sterben. Doch die Erinnerung an Dracons Spiele, mit denen er ihn gefügig gemacht hatte, wühlte ihn immer noch auf, obwohl er sich nach dieser Art körperlicher Nähe sehnte.
„Kein Problem. Bei mir heilt so was schnell. Ich habe ja auch schon ein paar Jahre Unsterblichkeit auf dem Buckel.“
Dracon beobachtete Warren, wie er unruhig im Zimmer umherging. Damit löste er den unwiderstehlichen Drang aus, diesem Zimmer zu entkommen. Dracons Präsenz war zu dicht, erstickte ihn. Er wollte raus, atmen, sich bewegen, andere Menschen um sich haben. Sein Blick glitt zu den leeren Blutkonserven. Ja, auch das wollte er. Auf die Jagd gehen. Frisches, warmes Blut trinken, das noch pulsierte. Dem noch Leben innewohnte.
„Fühlst du dich stark genug?“
Dracon las seine Gedanken, das machte ihm Angst. Was sah er dort?
Seine Sorge wurde verdrängt von dem unbändigen Wunsch, nach draußen zu gehen. Die letzten Narben warenerst seit zwei Nächten verschwunden. Ein Schwächeanfall lag immer noch im Bereich des Möglichen und das konnte auf der Jagd fatale Folgen haben. Nur erschien ihm die Alternative noch weniger erstrebenswert. Schließlich gab Dracon nach.
Die ersten Schritte unter freiem Himmel waren eine Wohltat. Warren sog die Luft tief in seine Lungen, genoss den warmen Wind auf der Haut. Das nächtliche Firmament erstrahlte im Blau dunkler Hyazinthen. Nur wenige Menschen streiften durch die Straßen in der Nähe ihrer Wohnung. Dracon hatte bewusst ein abgelegenes Viertel auf einer kleinen Anhöhe gewählt. Erst allmählich wuchs das Treiben, während sie dem Zentrum zustrebten.
Warren merkte, wie ihn diese vielen Leute bald schon erneut in Panik versetzten. Ihre Herzschläge erfüllten die Nacht, jeder in einem anderen Rhythmus. Sein eigenes Herz versuchte verzweifelt, einen Einklang zu finden, der es bei der Jagd leiten konnte, doch es gelang ihm nicht. Suchte es dem einen zu folgen, wurde der sofort von einem anderen überlagert. Warren drehte sich hin und her, bemüht, ein Opfer zu finden und sich darauf zu fokussieren, doch was er erreichte, war lediglich ein Schwindel, Schweißausbrüche und rasselnder Atem.
Dracon merkte schnell, was mit ihm los war, packte ihn und zog ihn fort in eine ruhige Gasse. Dort presste er ihn gegen die Wand, hielt ihn fest und redete beruhigend auf ihn ein, bis Warren langsam wieder klar denken konnte.
„Wir hätten noch nicht rausgehen sollen. Die Nachwirkungen deiner Verletzungen und die Schwäche nehmen dich noch zu sehr mit. Sie lähmen dich, weil deine Instinkte überreagieren. Bleib hier und warte auf mich. Ich bin gleich zurück.“
Er verschwand in der Dunkelheit und Warren lehnte sich mit geschlossenen Augen gegen das Gestein, in dem noch die Wärme des Tages schlummerte. Das alles machte ihm Angst, erinnerte ihn daran, wie es nach seiner Geburt in die Dunkelheit war. Er sehnte sich nach Steven, der ihn anleitete und ihm Mut zusprach. So etwas würde Dracon nie tun.
Er war an ihn gebunden, jetzt mehr denn je. Die Mischung aus Sehnsucht und Furcht, die diese Gewissheit auslöste, raubte ihm den Atem. Seine Brust wurde eng, als schnürte sie jemand mit einem eisernen Band zusammen. Nur sein Herz begehrte auf, kämpfte wummernd darum, erhört zu werden in seinem Hunger und seiner Verzweiflung.
Die Berührung einer kalten Hand ließ ihn zusammenfahren. Dracon stand vor ihm. Wie viele Jahre Unsterblichkeit brauchte es, um so kalt zu werden? Er lächelte siegesgewiss und deutete auf einen leblosen Körper zu ihren Füßen.
„An ihm kannst du dich laben. Danach wird es dir besser gehen und die Herzen der Menschen dich weniger quälen.“
Sein Verstand sträubte sich, denn ihm war klar, dass er diesen Menschen bis zum letzten Tropfen aussaugen würde. Kein kleiner Trunk, wie Steven es ihn gelehrt hatte. Das würde Dracon nicht dulden. Nach allem, was Mel über ihn erzählt hatte, bedeuteten Menschen ihm nichts. Doch das gleichmäßige Schlagen des Herzens, so ruhig in der Bewusstlosigkeit, wirkte geradezu hypnotisch. Warren fiel auf die Knie, zog den Mann in seine Arme wie einen Geliebten. Er legte seine Hand um dessen Hinterkopf und drehte den Schädel zur Seite. Die Schlagader pulsierte, sein Mund war mit einem Mal
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