Ruf des Blutes 5 - Erbin der Nacht (German Edition)
trocken, dürstete nach frischem Blut. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Die Brust des Todgeweihten hob und senkte sich unter tiefen Atemzügen, seine Augen bewegten sich sacht hinter den geschlossenen Lidern. Er streichelte über die gebräunte Haut, fühlte raue Bartstoppeln an seinen Fingerkuppen. Zögernd näherte er sich der Kehle, ließ seine Zungenspitze über die Haut gleiten und schmeckte salzigen Schweiß. Der Duft des Blutes, der durch die Haut drang, und das Rauschen, wenn es durch die Venen und Arterien glitt, lullten ihn ein. Seine Fänge traten hervor, durchstießen mühelos die Epidermis, schnitten tiefer bis in den Muskel, durchtrennten die Ader. Heiß sprudelte der Quell empor, ergoss sich in seinen Mund, füllte ihn mit Wärme, Kraft und Leben. Er musste sich nicht anstrengen, brauchte kaum zu saugen. Ein kräftiges junges Herz, das seine Arbeit tat. Er konnte es hören, vor seinem inneren Auge sehen, wie sich das Organ zusammenzog und wieder entspannte, ein ständiger Wechsel.
Sein Körper bebte, der Dämon schnurrte zufrieden, war nicht reißend diesmal oder Angst einflößend. Schlich eher wie eine Katze um die gefüllte Milchschale und tat sich gütlich an der Leckerei, die ihm gegeben wurde. Das Gefühl war angenehm, wärmte ihn. Die Gier, die er so fürchtete, verlosch und machte wohliger Mattigkeit Platz. Satt und entspannt glitten seine Finger schließlich hinab. Der dumpfe Laut, mit dem der Kopf auf das Pflaster schlug, passte nicht recht zu seinem Empfinden. Er musste sich an die Hauswand lehnen, um nicht auf der Stelle zur Seite zu sinken und einzuschlafen. Warmes Blut aus einem lebendigen Körper war etwas anderes als Konserven.
„Ich bringe ihn weg“, sagte Dracon. „Danach helfe ich dir auf die Beine. Der Rausch lässt gleich nach. Du bist noch immer sehr schwach. Es wird dauern, bis du allein auf die Jagd gehen kannst.“
Er nickte automatisch, obwohl er die Bedeutung der Worte erst begriff, als Dracon schon mit der Leiche verschwunden war. So musste sich wohl ein Wolfswelpe fühlen, wenn er sich am Kadaver, den seine Eltern für ihnerlegten, gütlich getan hatte. Sein dunkler Vater sorgte für ihn. Es war richtig, bei ihm zu sein.
Beim Erwachen fühlte ich mich, als hätte ich am Vortag an einem Marathonlauf durch Miami teilgenommen. Meine Muskeln schmerzten, mein Verstand war noch benebelt und alles drehte sich.
„Tut mir leid. Das war wohl etwas viel auf einmal“, erklang eine schuldbewusste Stimme neben mir.
Ich war mit einem Schlag hellwach und sah in Tizians Gesicht. Die Jalousien an den Fenstern waren zum Glück unten. Meiner inneren Uhr nach war es wieder Nacht, aber wir hatten wohl den kompletten Tag im Bett verbracht, statt uns in den Geheimraum zurückzuziehen. Es war unnötig, an mir hinunterzusehen, da er splitterfasernackt auf dem Laken lag. Ich tat es trotzdem und stöhnte gequält.
„Sag mir, dass wir nicht getan haben, was ich denke, das wir getan haben.“
Er sah mich verständnislos an. „Was glaubst du, was geschehen ist? Es gab viel, was du wissen musstest, dieser Weg war leichter, als es dir zu erzählen. Und schneller.“
Das war keine Antwort auf meine Frage. Manchmal fragte ich mich, ob einem Vampir jede Ausrede recht war, um mit jemandem seiner Art ins Bett zu steigen. Im Aufstehen zog ich die Decke mit und wickelte mich darin ein, während ich zum Bad taumelte. Jeder Mensch glaubt, dass kaltes Wasser im Gesicht die Gedächtnislücken der letzten Nacht wegspülen kann, inklusive allem, was man nicht wahrhaben möchte. Ich glaubte zwar nicht daran, aber einen Versuch war es wert. Als ich mich wieder aufrichtete, stand Tizian hinter mir.
„Du weißt nicht, was geschehen ist, also gibt es auch keinen Grund, ein schlechtes Gewissen zu haben. Vertrau mir.“
Ich starrte ihn im Spiegel an, als wäre er nicht mehr ganz bei Trost. „Tizian, ich bin nicht erst seit gestern Vampir. Was mir an Erinnerung fehlt, macht mein Wissen über unseresgleichen wett. Und wir sind soeben nackt nebeneinander aufgewacht, also erspar uns beiden irgendwelche Ausreden.“
Er zuckte die Achseln, als wollte er andeuten, dass er es nur gut gemeint hatte, und ließ mich allein. Nach literweise kaltem Wasser war ich geneigt, an dessen Wirkung zu glauben.
Tizian war nicht mehr im Schlafzimmer, sodass ich mich in Ruhe anziehen konnte. Er wartete in der Wohnküche, wo er aus dem Fenster blickte und die erleuchteten Millionärsjachten am Hafen betrachtete.
Weitere Kostenlose Bücher