Ruf des Blutes 5 - Erbin der Nacht (German Edition)
hast.“
„Ein Kind gehört zur Mutter.“ Dracons Stimme war an Theatralik nicht zu überbieten. „Und Warren hat Melissa lange genug entbehren müssen.“
Alwynn schritt ein, wofür ich ihm aus Dankbarkeit am liebsten die Füße geküsst hätte. „Es ist vielleicht nicht der geeignete Ort für das, was ihr euch zu sagen habt. Was ich sehe, ist die Rückkehr eines Vermissten. So etwas sollte man feiern und die Unstimmigkeiten für den Moment vergessen.“
Ich legte Armand meine Hand auf die Brust mit stummem Flehen. Sein innerer Kampf gefror mein Blut. Doch schließlich nickte er, und ich durfte erleichtert aufatmen. Schwindelig vor Glück, Warren wiederzusehen, verwirrt über Dracons Verhalten und voller Sorge um Armands Reaktion, die nur aufgeschoben, aber nicht aufgehoben war, nahm ich wieder Platz. Die drei Männer gaben sich alle Mühe, keine weiteren Spannungen heraufzubeschwören. Das fiel besonders Warren leicht, denn er tat es mir gleich und schwieg fast den ganzen Abend. Nur sein Blick ließ mich nicht los. Was er dachte, blieb mir verborgen.
Wiederkehr
L ucien war nicht mehr in der Nähe von Gorlem Manor gewesen, seit Kalistes Ghanagouls ihn von hier verschleppt hatten. Aber es galt, etwas zu beenden, das er begonnen hatte. Wo er schon hier war, bot es sich an.
Er hatte Blue folgen müssen, denn er traute dem Dolmenwächter keine Spur, und er brauchte Melissa. Er hatte viel in seinem Geist gesehen, aber nicht genug. Jemand, der so vielen Herren diente wie Blue, war schwer berechenbar. Das Einzige, was er mit Sicherheit sagen konnte, war dass Blue vor allem am eigenen Vorteil interessiert war und wenig Skrupel hatte, alles zu tun, um seine Ziele zu erreichen. Der Kerl war nach seinem Geschmack, nur leider nicht so kontrollierbar, wie er es sich wünschte.
Bei allen Göttern Ägyptens, die Nacht mit ihm hatte sich in jeder Hinsicht gelohnt. Verlockend, es zu wiederholen, auszudehnen. Wie würde er auf den Damaszenerstahl reagieren? Lucien konnte sich gut vorstellen, dass Blue auch an solchen Spielen Gefallen fand. Er vertrieb die Gedanken aus seinem Kopf. Um Blue würde er sich später kümmern. Der lief ihm nicht weg. Jetzt wollte er lieber einem guten Freund einen Besuch abstatten.
Das große Haus war beeindruckend. Er schloss für einen Moment die Augen und sog die übersinnlichen Schwingungen auf. Fast so verlockend wie der Vatikan, was hier an Schriften und Artefakten ruhte. Doch noch viel verlockender war der Mann, der über all das wachte. Lucien besaß die Dreistigkeit und Dekadenz, den Haupteingang zu nehmen. Er stand bereits am Fuß der Treppe, die zum großen Tor führte, als er einen Schatten bemerkte. Statt zurückzuweichen, was die Gefahr gebot und keine Aufmerksamkeit zu erregen, hüllte er sich in Materiepartikel. Unsichtbar für den merkwürdigen Besucher verharrte er und wartete.
Es war ein älterer Mann. Breite Schultern, groß, aber schon leicht gebeugt. Was machte er hier und mit wem hatte er sich an der Tür getroffen? Er kam lautlos die Stufen herab. Lucien sah ihm nach, wie er behände über die Mauer von Gorlem Manor kletterte. Nicht einmal sein Herz schlug schneller, er fühlte sich vollkommen sicher. Durchaus noch sportlich, der Gute. Lucien ließ seinen Blick zwischen dem Entschwindenden und dem Eingang zu Gorlem Manor wandern, konnte sich aber keinen Reim darauf machen und verwarf den Gedanken schließlich. Was kümmerte es ihn, wer hier heimliche Schäferstündchen abhielt. Ihn interessierte vielmehr sein eigenes.
Die Tür öffnete sich auf seine Geste von selbst. Nachdem er sie wieder verschlossen hatte, setzte er seinen Weg zu Melissas Vater fort. Für gewöhnlich arbeitete er um diese Zeit noch, doch heute Nacht fand Lucien die Privaträume dunkel und verlassen vor. Welch erfreulicher Zufall.
Das Schlafzimmer des Ashera-Vaters war nicht verschlossen. Die Matratze knarrte leise, als Lucien darauf Platz nahm. Franklin lag in tiefem Schlaf. Er träumte, wie Lucien den schnellen Bewegungen seiner Augen entnahm. Der dünne Schweißfilm auf Stirn und Oberlippe kündete davon, dass es keine angenehmen Träume waren. Er streckte die Hand aus und strich behutsam über Franklins Wange. Als sie sich das letzte Mal gegenübergestanden hatten, waren die Furchen in seinem Gesicht deutlich tiefer gewesen. Der Prozess des Alterns war aufgehalten, sogar zurückgedreht. Das konnte nur eines bedeuten: Armand war auch in diesem Punkt zurückgekehrt.
Seine Finger glitten
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