Ruf des Blutes 5 - Erbin der Nacht (German Edition)
Tisch in der Ecke Platz, und Armand entschuldigte sich kurz, weil er ein paar seiner neuen Bekannten holen wollte. Fünf Minuten später umringten mich ein Gestaltwandler, zwei Kobin-Zwerge, die zu meiner Erleichterung nichts mit Gorben Wulver zu tun hatten, eine Russalki, die mit ihren grünen Haarenwie ein Punk aussah und ein Bajang. Ich konnte nicht sagen, dass ich mich wohlfühlte. Alwynn, der Gestaltwandler, führte das Wort.
„Ich möchte, dass du gleich zu Anfang weißt, dass jeder von uns froh ist, Darkworld weiterhin verschlossen zu wissen. Es gibt niemanden in diesem Raum, der dir das verübelt.“
„Danke“, antwortete ich und rang mir ein Lächeln ab. Furcht saß mir weiter im Nacken. Wie würde sich die Situation ändern, falls Cyron Gowl auftauchte, der im amerikanischen PU Ansehen genoss? Blieben unsere neuen „Freunde“ dann immer noch so nett? Armand schien überzeugt. Ich hielt mich zurück, beteiligte mich wenig an der Unterhaltung. Die Angst vor dem Attentäter ging um. Niemand glaubte an einen Einzelkämpfer. Alwynn war überzeugt, dass jemand gezielt für Unruhe sorgte, die Folgen konnten verheerend sein.
Plötzlich erhob er sich und schaute Richtung Eingang. Jetzt wurde deutlich, was mir schon bei unserem Eintreten aufgefallen war, obwohl Armand anscheinend nichts davon bemerkt hatte. Alwynn hatte hier das Sagen, er führte diese Gruppe des PU, wenn nicht sogar den von ganz London.
„Nyra“, sprach er die Fee an. „Warum bist du nicht auf deinem Posten?“
„Viele Neue heute Abend. War neugierig“, erwiderte die Sidhe grinsend.
Hinter ihr betrat ein Mann in schwarzem Leder den Raum. Unter seiner Jacke blitzte die nackte Brust in satter Bronze, auf der sich zwei schwarze Schlangenköpfe abzeichneten. Ich musste den Blick nicht heben, um ihn zu erkennen. Im Gegenteil, seine Anwesenheit drang sofort in jede Faser meines Körpers und versetzte sie in Schwingung. Wir waren uns so nah wie Bruder und Schwester – der Wille unserer Königin.
Noch ehe ich reagieren konnte, sprang Armand auf, stellte sich vor mich und fauchte in Dracons Richtung, der irritiert die Braue hob. „Nette Begrüßung“, meinte Luciens Sohn. „Dabei komme ich mit den allerbesten Absichten.
Er ignorierte Armand und die anderen am Tisch, die nach der Reaktion meines Liebsten ebenfalls in Habachtstellung gingen, und drehte sich stattdessen lächelnd zu mir.
„Ich habe dir etwas mitgebracht, Mel“, sagte er.
Mein Herz blieb stehen, als er seine Hand ausstreckte und ein Mann aus dem Schatten an seine Seite trat, der mir ebenfalls vertraut war wie ein Bruder, und dessen Name als qualvolles Stöhnen über meine Lippen kam: Warren!
Ich war paralysiert, konnte nur auf sein bleiches, wunderschönes Antlitz starren, aus dem mich die stahlblauen Augen musterten, als sähe er mich zum ersten Mal. Wie konnte das sein? Warren war tot! Ich hatte die verbrannte Erde gesehen, die Phiole mit meinem Blut gefunden, die ich ihm zum Schutz gegeben hatte. Ich wusste, wo sein Grab war – sein leeres Grab. Wochenlang hatte mich sein Tod im Schlaf verfolgt, hatte ich ihn brennen sehen, seine Schreie gehört und immer wieder mit ihm im Garten gestanden, wo er mir das Versprechen abverlangte, ihn zu erlösen, falls er die Unsterblichkeit nicht ertrug. Ich hatte ihn im Stich gelassen – in mehrfacher Hinsicht.
Aber er lebte. Er stand vor mir in Fleisch und Blut. Keine Halluzination. Wie auch immer Dracon es geschafft hatte, Warren war so lebendig wie ich. Ohne auf Dracon oder Armand zu achten, trat ich auf Warren zu, streckte meine Hand aus und strich über sein Gesicht. Ich musste ihn spüren, um zu glauben, dass ich nicht träumte.
„Warren“, sagte ich noch einmal. Meine Lippen bebten, Tränen stiegen in meine Kehle, schnürten sie zu, bis ich kein weiteres Wort herausbrachte. Etwas war anders an ihm. In seinem Blick lag nicht mehr die Wärme von einst, aber auch nicht länger die Verzweiflung, mit der er mir als neugeborener Vampir begegnet war. Ich sah Kälte, die mich schaudern ließ, weil ich sie in meinen Adern spürte. Seine Miene blieb unbeweglich, obwohl er die Hand ausstreckte und bei Dracon Halt suchte. Erschütterte ihn diese Begegnung? Was löste sie überhaupt in ihm aus? Es machte mir Angst, keine Regung von seinem Gesicht ablesen zu können. Mich überkam eine schreckliche Ahnung, was im Sonnenaufgang geschehen war und was es aus ihm gemacht hatte. Verbrannte die Sonne auch das Herz und nicht nur die Haut?
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