Ruf des Blutes 5 - Erbin der Nacht (German Edition)
Sohn“, versuchte ich mich zu rechtfertigen.
„Ein Sohn, den er vor einem Jahr zu Grabe getragen hat. Und tu nicht so, als wüsstest du nicht ebenso gut wie ich, dass Warren nicht mehr derselbe ist.“
Mir blieb der Mund offen stehen. „Was willst du damit sagen?“
Er lachte höhnisch. „Mel, er war in dieser Zeit bei Dracon. Du kennst diesen Bastard. Sieh dir Warren an, er wirkt nicht gerade unglücklich an der Seite seines Lovers. Da brauche ich nicht lange zu überlegen. Er ist genauso ein berechnendes, sadistisches Subjekt geworden wie dein Bruder.“
Die Art, wie Armand das letzte Wort ausspie, versetzte mir einen Stich. Ich kämpfte mit den Tränen. „Ich habe mir das nicht ausgesucht.“
„Nein, aber sonderlich dagegen gewehrt hast du dich auch nicht.“
Mir schlug die nackte Verachtung aus seinem Gesicht entgegen. Und das, wo ich selbst Dracon beim letzten Mal zum Teufel gejagt hatte. Ich setzte mich nicht mehr für ihn ein, aber bei Warren konnte ich nicht so kalt bleiben. Ich wollte nicht glauben, dass er genauso geworden war. Tief in mir flüsterte eine Stimme, dass ich bei Dracon ebenfalls noch immer das Gute sah, auch wenn er mir hinlänglich das Gegenteil bewiesen hatte.
Franklin stöhnte, seine Lider flatterten. Er kam wieder zu sich. Armand und ich verschoben unseren Streit auf später. Während er meinen Vater stützte, flößte ich ihm einen Schluck Brandy ein.
„Ich dachte … für einen Moment sah es so aus … dass Warren in der Tür gestanden hat.“
Er hielt es für einen Traum. Armand presste grimmig die Lippen aufeinander. Natürlich plädierte er dafür, ihn in dem Glauben zu lassen. Ich hingegen wollte meinen Vater nicht belügen und dachte auch an die Folgen, die das haben würde.
„Dad.“ Ich drückte seine Hand und lächelte zaghaft. „Es war Warren.“
Für einen Moment fürchtete ich, er würde abermals ohnmächtig, als er mit einem Laut voller Qual die Augen verdrehte, sich ans Herz fasste und in den Polstern zusammensank.
„Das reicht!“, fuhr Armand mich an.
„Es ist wahr“, flüsterte Franklin. „Er lebt. Der Göttin sei Dank.“
Ich war versucht, Armand eine Retourkutsche zu erteilen, aber die Situation war unpassend.
„Ja, Dad. Er lebt. Aber es ist nicht so einfach.“
„Was ist mit dir los, Franklin?“, schaltete sich Armand ein und die Sanftheit seiner Stimme, als er mit meinem Vater sprach, stand in hartem Kontrast zu der Schärfe, mit der er mich zuvor angegangen war.
Franklin sah ihn verständnislos an.
„Du bist ohnmächtig geworden. Dafür gibt es doch einen Grund.“
Mein Vater starrte ins Leere, suchte nach einer Erklärung, bis er schließlich meinte: „Es war wohl in den letzten Tagen alles ein bisschen viel.“
Er nahm das Brandyglas aus meiner Hand und schüttete dessen Inhalt in einem Zug hinunter. Es brachte zumindest etwas Farbe in seine Wangen, auch wenn die Haut immer noch fahl wirkte und die Augen tief in den Höhlen lagen, als habe er mehrere Nächte nicht geschlafen. Ich vergaß unsere Zwistigkeit und sah Armand fragend an. Er zuckte unmerklich die Schultern, fand ebenso wenig eine Erklärung wie ich.
„Wo ist Warren jetzt?“, fragte Franklin.
„Er ist mit Dracon gegangen. Wir waren nicht sicher, was passieren würde, wenn er bei deinem Erwachen noch hier ist.“
Er nickte. „Das ist gut so. Ich würde gern mit ihm reden, aber nicht hier.“
Während ich nicht verstand, was er damit meinte, fühlte sich Armand bestätigt. „Das Risiko ist auch zu groß. Wir wissen gar nichts über ihn.“
Ich hoffte, dass mein Vater widersprach, doch stattdessen pflichtete er Armand bei. „Ja, ein Jahr ist eine lange Zeit. Und gerade jetzt kann ich mir keinen Unsicherheitsfaktor auf Gorlem Manor leisten.“
Er zitterte beim Aufstehen, lehnte Armands Hilfe ab. Ich blieb wie paralysiert am Boden hocken. Konnte – wollte – diese Reaktion nicht verstehen.
„Mel?“ Mein Vater sah auf mich herab, ein unsicheres Lächeln auf den Lippen.
Ich erhob mich, obwohl eine zentnerschwere Last mich nach unten zog. Folgte Armand und meinem Vater ins Kaminzimmer. Alles in mir befand sich in Aufruhr. Ich konnte nicht bei ihnen sitzen bleiben, zu sehr wühlte es in mir, dass Warren in Ungnade gefallen war. Ausgerechnet bei den beiden, die mir am nächsten standen.
Ich gab vor, zu Vicky in die Küche zu gehen, um meinem Vater Tee zu holen und etwas zu essen, da er auf Armands Frage gestand, heute noch keine Mahlzeit zu sich genommen zu
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