Ruf des Blutes 5 - Erbin der Nacht (German Edition)
Moment entstieg er ihm auf der anderen Seite.
Kälte empfing ihn. Sein erster Blick ging wie immer zur Energieanzeige und entlockte ihm einen gezischten Fluch. Lavant war nicht hier, aber wenn er die Aktivierung des Dolmentores spüren sollte, konnte es nicht lange dauern. Vielleicht war er aber auch beschäftigt. Dann blieben Blue mehr als nur ein paar Minuten.
Er ging zu einem leeren Steinquader. Auf den meisten anderen ruhten Männer und Frauen in unterschiedlichen Stadien des Zerfalls. Seine heilige Familie. Nicht mehr lange und außer ein bisschen Staub und ausgeblichenen Knochen wäre nichts mehr von ihr da.
Auf der Unterseite des Quaders, vor dem er kniete, verbarg sich eine Öffnung. Blue griff hinein und förderte eine Waffe – ähnlich der, die er Kaliste gegeben hatte – zutage. Beim zweiten Hineingreifen holte er einen Stoffbeutel mit Munition hervor. Daraus schüttete er ein paar Kugeln in seine Handfläche und deponierte ihn wieder im Versteck. Unschlüssig betrachtete er die Waffe. Sollte er sie mitnehmen? Verdammt heißes Spiel. Kaliste hatte bereits die erste behalten. Er konnte es sich nicht leisten, dass ihm eine weitere auf diese Art abhandenkam. Entschlossen steckte er sie wieder in die Aushöhlung des Steines, schritt zur Energieanzeige hinüber und warf die Kugeln in seiner Hand in eine Öffnung. Es dauerte einen Moment, doch dann stieg die Anzeige leicht an. Das sollte für die nächsten drei Tage reichen.
„Was machst du hier?“
Lavant! Super Timing!
„Ich bin hier zu Hause, schon vergessen?“ Er hatte keinen Bock auf Erklärungen. Bisher war es seinem Bruder noch nicht aufgefallen, dass er die Energieanzeige konstant hielt. Aber allmählich ging ihm das Elektrum aus. Er drehte sich um und stand Lavant Auge in Auge gegenüber. Der andere Dolmenwächter musterte ihn mit forschendem Blick. Blue spielte den Genervten. „Was wird das, Lavant? Wer zuerst wegsieht? Das kann ich besser als du.“
Wie auf Kommando wandte sein Bruder den Kopf ab. „Im Moment sind zu viele Tore aktiv“, klärte er Blue auf.
„Cool! Freu dich doch. Dann kommt endlich mal Leben in den Laden.“
Lavant presste die Lippen aufeinander und ballte seine Hände zu Fäusten. „Es kommt immer darauf an, wer sie nutzt.“
Das war zu hoch für ihn. Lavant könnte kurz vor dem Dämmerzustand stehen und würde immer noch nicht akzeptieren, dass auch nur eine einzige Regel gebrochen wurde. Selbst, wenn ihm das den Arsch rettete. Er war da schon immer anders gewesen. Wenn die auserwählte Gattung sich einen Dreck scherte, warum dann nicht nehmen, was man kriegen konnte? Okay, vielleicht nicht alles und auch nicht überall. Aber wenn man ein bisschen selektierte, konnte es doch sehr nützlich sein, die Regeln nach Bedarf auszudehnen. Er hatte deshalb jedenfalls keine schlaflosen Nächte.
Dann schon eher wegen seines bevorstehenden Termins. Erstens war er spät dran und Lavant sah aus, als wollte er wieder seine Moralpredigt vom Stapel lassen. Und zweitens gingen ihm allmählich die Argumente aus, mit denen er die Vampiress hinhalten konnte. Da jede Diskussion mit seinem Bruder ebenso sinnlos wie langwierig war, versuchte Blue, sich an ihm vorbeizudrängen, doch entgegen seiner sonstigen Zurückhaltung stellte sich Lavant in den Weg.
„Sag mir, wo du hinwillst!“
„Was?“ Blue musste über die Vehemenz, mit der Lavant seine Forderung äußerte, lachen. „Bist du noch bei Trost? Du bist nicht mein Babysitter. Und jetzt lass mich vorbei.“ Er schob seinen Bruder unsanft beiseite, aber der packte ihn an der Schulter und hielt ihn fest.
„Diesmal nicht.“
Jetzt reichte es Blue. Niemand – auch nicht sein Bruder – durfte sich in seine Angelegenheiten mischen. Die Bewegung erfolgte so schnell, dass Lavant nicht den Hauch einer Chance hatte zu reagieren. Blue packte ihn unter der Achsel, drehte ihn über seine Hüfte und warf ihn mehrere Meter durch die Luft. Lavant landete auf einem der Felsquader, der unter dieser Wucht zusammenbrach. Die darauf ruhenden Knochen zerbarsten mit einem hässlichen Geräusch.
Blue drehte sich nicht mehr um, sondern verschwand durch das Dolmentor zurück in seine Wohnung und versiegelte es, damit Lavant ihm nicht folgen konnte. Das dumpfe Poltern, das gleich darauf erklang, verbunden mit einem Zittern, das sich vom Schrank über den Boden bis zu den Wänden fortpflanzte und die Fensterscheiben klirren ließ, zeigte, dass er mit seiner Vermutung recht gehabt hatte und sein
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