Ruf des Blutes 6 - Wolfspakt (German Edition)
Aber wie so vieles, würden sie auch das gemeinsam durchstehen. Für ihre Freunde und für eine hoffnungsvolle Zukunft.
„Wir nähern uns der Rankenhöhle“, raunte Tizian.
Raphael nickte wortlos. An ihrer Durchwanderung war schon so mancher gescheitert. Es waren weniger Ranken als vielmehr Wurzeln, die von der Decke herabhingen und sich um jeden schlangen, der sie berührte. Dabei lagen sie so dicht aneinander, dass man kaum zwischen ihnen hindurchgelangte. Angeblich waren es die Gedärme all jener, denen das Urteil auf ewige Verdammung gesprochen worden war, doch daran glaubte Rafe nicht. Das Ächzen und Stöhnen in der Höhle konnte tausend Ursachen haben. Sicher war nur, die Ranken schützten den Eingang zu Lokis Reich und gewährleisteten, dass er ungestört blieb. Wenn sie diese Hürde überwunden hatten, mussten sie nur noch über den Feuersee setzen. Genau dafür brauchten sie den Ring, denn der Fährmann verweigerte jedem die Überfahrt. Mit dem Dämonenring gab es eine kleine Chance, dass er sie übersetzte. Wenn nicht … Raphael bezweifelte, dass es nutzen würde, nach Loki zu rufen, damit er über den See zu ihnen kam. Doch darum konnte er sich Gedanken machen, wenn es so weit war.
In der Rankenhöhle herrschte grünliches Licht. Man hörte Wasser tropfen und die Luft schmeckte nach Salz und Schwefel. Der Boden unter ihren Füßen war tückisch und bot kaum sicheren Halt. Er bewegte sich unablässig wie ein atmendes Wesen. Raphael konnte sich des Gedankens nicht erwehren, im Rachen eines schrecklichen Tieres zu stehen, auf dessen Zunge sie liefen. Dort wo er Wände erkennen konnte, trugen deren scharfkantische Auswüchse, die an Zähne erinnerten, nicht dazu bei, diese Vorstellung zu zerstreuen.
„Unheimlich“, entfuhr es Tizian.
„Einladend wirkt es jedenfalls nicht.“
Auf den ersten Metern hingen die Ranken noch weit auseinander, sodass man leicht zwischen ihnen laufen konnte. Dann wurden sie zusehends dichter. Sie glänzten und waren mit einem fluoreszierenden Film überzogen. Ob es ein Nervengift sein konnte? Rafe verspürte keine Lust, das auszuprobieren.
„Denkst du, der Ring kann auch hier helfen?“
Tizian betrachtete die Wurzelstränge skeptisch. Dass Pflanzen – wenn es denn welche waren – Respekt vor einem Schmuckstück haben sollten, egal wie mächtig es auch war, hielt Rafe für unwahrscheinlich.
„Ich fürchte eher, dass wir uns hier durchkämpfen müssen.“
Was aber nicht hieß, dass sie völlig wehrlos waren. Raphael streckte seine Arme zur Höhlendecke und murmelte einige babylonische Beschwörungsformeln. Ein bisschen frische Luft konnte diesem Ort nicht schaden.
Bald erhob sich Wind, den er zu kleinen Wirbeln formte und durch die Reihen der Ranken sandte. Das Stöhnen, das daraufhin die Höhle erfüllte, jagte ihm und auch Tizian einen Schauder über den Rücken. Es klang tatsächlich wie Schmerz- und Wehklagen von lebenden Wesen. Wenn es doch mehr als ein Märchen und die Eingeweide von Verdammten waren, an denen seine Wirbelstürme zerrten? Er konnte die Qual beinah nachfühlen, aber darauf durften sie keine Rücksicht nehmen. Hand in Hand schritten sie die freiwerdende Gasse entlang. Jegliches Gefühl von Mitleid schwand, als sie in die tieferen Bereiche gelangten, wo strangulierte, mehr oder minder verweste Gerippe in den Ranken hingen. Ein fürchterlicher Ort, den sie hoffentlich auf dem Rückweg nicht wieder zu passieren brauchten.
Ein Anstieg der Temperatur trieb sie vorwärts. Der Feuersee konnte nicht mehr weit sein. Er verhieß das Ende der Rankenhöhle.
Sie konnten die flirrende Oberfläche des glühenden Wassers schon sehen, als eine der Wurzeln zurückschnellte und Tizians Arm umschlang. Er schrie auf. Zischend fraß sich die Flüssigkeit durch das Gewebe seiner Kleidung und die obersten Hautschichten. Ungeachtet dessen, dass die Säure seine Hände verbrannte, packte Raphael zu und riss die Wurzel auseinander, um Tizian zu befreien. Ein markerschütternder Schrei brach sich schrill an den Höhlenwänden. Dunkelrotes Blut schoss aus dem Rankenstumpf hervor, der zuckte wie ein lebendes Gefäß. Kupfergeruch erfüllte die Luft. Die Wirbelstürme gerieten außer Kontrolle, was die Wurzeln in ein wildes Tosen versetzte. In letzter Sekunde warf sich Raphael zu Boden und riss Tizian mit sich, ehe sich mehrere Ranken um ihre Hälse und Glieder winden konnten. Aber auch der Untergrund geriet nun stärker in Bewegung. Es war kaum möglich, festen Halt zu
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