Ruf des Blutes 6 - Wolfspakt (German Edition)
finden. Statt näher zum Ausgang zu gelangen, rutschten sie in die Mitte der Höhle zurück. Ihm war klar, dass sie dann nie wieder dort rauskämen. Mit der Kraft der Verzweiflung hieb er seine Finger in den weichen Untergrund, was einen weiteren Aufschrei beschwor.
„Halt dich an mir fest“, wies er Tizian an. Dessen verletzter Arm hing schlaff hinab. Den anderen schlang er um Raphaels Hüfte und stemmte die Füße ins wogende Gewebe. So krochen sie Stück für Stück Richtung Feuersee. Schweiß durchtränkte ihre Kleider. Raphaels Hände brannten höllisch und er musste sich zwingen, seine Finger jedes Mal wieder zu öffnen und zu schließen, um vorwärtszukommen. Endlich fühlte er festen Boden, drückte sich hoch und rollte seinen Oberkörper aufs Gestein. Er drehte sich halb um und packte Tizian am Kragen, um ihn ebenfalls in Sicherheit zu ziehen. Die Rankenhöhle war überwunden. Keuchend vor Erschöpfung gönnten sie sich ein paar Minuten. Dann warf Rafe einen Blick auf die Verletzung an Tizians Oberarm. Die Wundränder waren schwarz verkrustet, ebenso wie seine Hände, aber der Heilungsprozess schien bereits einzusetzen.
„Es geht schon“, beruhigte ihn Tizian und quälte sich ein Lächeln ab, das nicht so recht ins aschfahle, von Schweiß überzogene Gesicht passen wollte. Mit dem Kopf deutete er zum Ufer des Feuersees, wo der Fährmann in seinem Boot stand und zu ihnen herüberblickte. Sie kämpften sich auf die Füße und stützten sich gegenseitig, als sie auf ihn zugingen.
Das biologische Forschungsschiff CS Challenger fuhr mit halber Fahrt und kreuzte seit zwei Tagen die Koordinaten, an denen man das merkwürdige Wesen in der Tiefe gesehen haben wollte. Allmählich dachten viele auf dem Schiff, dass jemand Seemannsgarn gesponnen hatte. Die Interpretationen der unscharfen Bildaufnahmen reichten von Seetang über Felsformationen, an denen sich Unterwasserwellen brachen bis zu simplen Sonarfehlern. Kapitän Millard stand an Deck und blickte auf die unruhige Oberfläche der See. Das Wasser wirkte schwarz wie Tinte. Keiner konnte sagen, welche Geheimnisse es barg, seit dem schrecklichen Unglück vor einem Jahr. Mutationen waren keine Seltenheit in Gewässern, die mit radioaktiver Verseuchung gezeichnet waren. Aber konnte ein solches Geschöpf wie das, was man auf dem Radar gesehen haben wollte, tatsächlich binnen weniger Monate entstehen?
„Kapitän?“ Lieutenant Starsky salutierte und reichte ihm eine Mappe mit den neuesten Auswertungen. „Wir haben immer noch nichts entdecken können, was die Bilder des Marineschiffes bestätigt.“
„Hm“, brummte er. „Ich bin sicher, sie haben etwas aufgenommen. Wir müssen Geduld haben. Wissen wir schon, wann das Tiefensonar ankommt?“
„Ja, Sir. In zwei Tagen wird die Seahawk Wing ankommen.“
Damit waren es schon elf Schiffe, die gemeinsam suchten. Drei davon militärisch, der Rest wissenschaftlich. Die Überlegung Taucher hinunterzulassen, war einheitlich verworfen worden. Weniger, weil man die Gefahr eines unbekannten Meeresbewohners fürchtete als vielmehr wegen der noch immer viel zu hohen Strahlenbelastung im Wasser.
„Gehen Sie in den Funkraum, Starsky, und fragen sie die anderen Schiffe ab, ob dort etwas aufgefallen ist. Ich glaube zwar nicht, dass unsere militärischen Freunde uns reinen Wein einschenken würden, wenn es so wäre, aber solange die kein U-Boot herholen, gehe ich davon aus, dass sie genauso im Trüben fischen wie wir.“
„Aye, Kapitän.“
Millard blickte seinem Ersten Offizier nach. Ein tüchtiger Mann. Geeignet, irgendwann ein Schiff zu befehligen.
Über dreißig Jahre fuhr er schon zur See, aber nie hatte er ein derart ungutes Gefühl gehabt wie dieses Mal. Als man ihm den Auftrag übergeben und er sich von seiner Frau und den Kindern verabschiedet hatte, machte sich eine Ahnung breit, als würde er seine Lieben niemals wiedersehen. Und bisher verflüchtigte sich diese nicht.
Er wanderte die Reling entlang und starrte auf die Wellen. Hier und da sah er einen Tümmler auftauchen. Äußerlich waren keine Veränderungen an den Tieren zu erkennen. Bemerkenswert, wie sie sich an den verseuchten Lebensraum anpassten. Aber etwas war da unten, das sich sehr wohl verändert hatte. An Seemannsgarn glaubte er jedenfalls nicht. Vielleicht war es eine prähistorische Amphibie. Die vielen Beben in den letzten Wochen hatten womöglich eine Unterwasserhöhle zum Einsturz gebracht und es freigelassen. Oder auch mehrere seiner
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