Ruf Des Dschungels
Fußtritte waren zu hören. Die Schatten wurden länger, ein fahles Abendlicht drang durch den Dschungel. Davon nahm ich jedoch keine Notiz, ich sah mich auch nicht mehr um oder achtete auf Einzelheiten, als wir an den verschiedenen Orten vorbeikamen, die wir am Morgen passiert hatten. Alles um mich herum verschwand, keine Geräusche mehr, auch keine Schmerzen oder Farben, und ich nahm auch die Mücken nicht wahr, die sich nun aus ihren kühlen Verstecken hervorwagten und mich verfolgten. Völlig versunken in meiner eigenen Welt, merkte ich nicht, wie die Zeit verstrich; mechanisch wie ein Roboter setzte ich einen Fuß vor den anderen.
Ein Schrei in der Ferne riss mich plötzlich aus meinen Gedanken, Schmerz überflutete meinen Körper. Mir wurde schlecht, und ich setzte mich hin, wollte keinen Schritt mehr gehen. Aron zog mich hoch und rief mir zu, wir hätten es fast geschafft, nur noch ein letzter Hügel. Der Schrei stammte von einem der jungen Fayu, der vorausgeeilt war und unser Ziel fast erreicht hatte.
Tatsächlich traten wir wenige Minuten später aus dem Dschungeldickicht ins Freie, gelangten zurück zur Hütte und zum Fluss. Ich kroch zum Ufer und blickte über das dahinfließende Wasser, bevor ich auf dem Boden zusammenbrach. Rasende Kopfschmerzen hämmerten in meinem Schädel. Mit jeder Sekunde sah ich schlechter, und ich rang nach Luft. Flüssigkeitsmangel und völlige Erschöpfung verlangten ihren Tribut, und mein Blutdruck sank rapide. Mit tiefen Atemzügen versuchte ich den Schwindel zu vertreiben und das mulmige Gefühl in meinem Magen zu unterbinden. Die anderen saßen ruhig neben mir und warteten auf unser Boot. Da hörte ich plötzlich das schwache Brummen eines Motors – es klang wie Musik in meinen Ohren.
Als ich mit pochenden Schläfen und noch immer mit einem flauen Gefühl im Magen im Boot saß, überkam mich unglaubliche Erleichterung. Was für ein Trip das war! Nicht so sehr wegen der Höhlen, sondern weil ich an meine körperlichen Grenzen gegangen war und es geschafft hatte.
Wir erreichten Quisa mit den letzten flackernden Lichtstrahlen. Es war zu spät, um noch den Fluss hinunter bis nach Foida zu fahren, also übernachteten wir in einer leeren Hütte in Quisa. Mit letzter Kraft kroch ich die Stufen zum Eingang hoch, drückte die Tür auf und ließ mich hineinfallen.
Erschöpfung
Papa, der in Quisa auf uns gewartet hatte, brachte mir ein Glas Wasser und ermahnte mich, es in kleinen Schlucken zu trinken, damit ich mich nicht erbrach. Als ich mir die Stiefel auszog, merkte ich, dass meine Strümpfe blutgetränkt waren. Doch das war mir momentan völlig egal. Ich nahm ein Schmerzmittel, legte mich auf den Boden und hoffte, die hämmernden Kopfschmerzen und die Übelkeit mochten bald vorübergehen.
Was für ein Tag!
»Na, Sabine«, fragte Papa, »hast du den Ausflug genossen?«
»Ja, aber es war das erste und letzte Mal«, antwortete ich.
Papa musste über diesen radikalen Sinneswandel lachen. Am Morgen hatte ich mir noch voller Euphorie ausgemalt, wie ich eines Tages zurückkehren, die Höhlen erforschen und eine alte Kultur entdecken würde.
In dem Augenblick, als ich mich auf meine Matratze legte, das Moskitonetz eng um mich geschlungen, fiel ich in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Diesmal quälten mich keine Dämonen, nichts als tiefe Schwärze war da, während sich mein Körper langsam erholte. Sicher würde ich ein paar Tage brauchen, bis ich wiederhergestellt war, doch alles in allem war ich froh, dass ich den Ausflug unternommen hatte. So hatte ich mit eigenen Augen gesehen, wo die Ursprünge der Fayu lagen, wie es die Legende von Bisa und Beisa erzählt.
Die in einer Sagokruste gebackene Fledermaus, die Fusai mir am nächsten Morgen anbot, lehnte ich dankend ab.
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11 Auf der Suche nach dem Morgenstern
S abine, weißt du eigentlich, was der Stern auf unserer papuanischen Flagge bedeutet?«
»Erzähl es mir.«
»Wenn du im Morgengrauen aufstehst und Richtung Horizont blickst, dann siehst du einen einzigen Stern, den Morgenstern. Eindrucksvoll kündigt er das Tageslicht an. Immer, wenn wir ihn sehen, sagen wir uns: So wie dieser Stern einen neuen Tag einleitet, so steht unser Stern für das Versprechen, dass bald eine neue Zeit beginnt. Wir haben allzu lange in der Dunkelheit verharrt, doch wir geben die Hoffnung nicht auf, dass eines Tages das Licht des Friedens diesem Land wieder leuchtet.«
Anfang April 2006 . Zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit kehre
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