Ruf Des Dschungels
eine Delikatesse.
Ich kaute und kaute, doch das Fett war viel zu zäh. Als ich den Saft heraussaugte, schmeckte ich nichts als Blut. Nach kurzer Zeit kam ich zu dem Schluss, dass ich nicht die Kraft hatte weiterzuessen.
Ich gab auf und reichte das Stück Aron, der es sich zu meinem grenzenlosen Erstaunen in den Mund steckte und mit Vergnügen verspeiste.
»Aron, wie kannst du das nur essen? Hast du nicht gesehen, dass ich die ganze Zeit daran herumgelutscht habe?«, fragte ich ihn.
»Oh«, antwortete er mit einem Grinsen, »da gibt es Schlimmeres!«
Ich lachte, und allmählich kehrte ein wenig Energie in meinen erschöpften Körper zurück. Bald darauf brachen wir wieder auf. Schließlich hatten wir noch über die Hälfte des Weges vor uns.
Schon nach wenigen Schritten bekam ich Durst, das salzige Fleisch hatte meinen Mund völlig ausgetrocknet. Doch was tun? Mein Kanister war leer, und es gab hier nirgendwo einen Fluss. Und selbst wenn einer in der Nähe gewesen wäre, hätte ich es tatsächlich riskiert, das Wasser zu trinken? Ich musste an die grauenerregenden Geschichten denken, die meine Mutter uns früher immer über Parasiten und Darminfektionen erzählt hatte. Wer weiß, was für ekelhafte Bakterien in dem Wasser nur darauf warten würden, mein wehrloses Immunsystem anzugreifen?
Es war mir peinlich, dass ich so schwach war, doch ich merkte, dass auch Fusai allmählich die Strapazen unseres Ausflugs spürte. Der Schweiß strömte ihr übers Gesicht, und sie bewegte sich zusehends langsamer.
Plötzlich stolperte ich und fiel hin. Beim Aufstehen bemerkte ich, dass sich auf meiner Wange und meinen Händen etwas bewegte. Blutegel, schon wieder! Hektisch sammelte ich sie von Gesicht und Kleidern. Einer schaffte es tatsächlich, sich in meine Wange zu verbeißen. Blind zog ich ihn heraus und blieb in Bewegung. Ich hatte das Gefühl, dass ich schlechter sah, Sternchen begannen vor meinen Augen zu tanzen.
Ich blieb stehen und fragte Aron, wie weit es noch war. Er sagte, die Hälfte hätten wir hinter uns.
Oh mein Gott,
schoss es mir durch den Kopf,
wie sollen wir das noch rechtzeitig schaffen?
Die Schatten der Bäume wurden immer länger, die Sonnenstrahlen hatten die Horizontale so gut wie erreicht. Wir mussten uns beeilen!
Genau in dem Moment, als ich dachte, ich könne jetzt keinen Schritt mehr tun, da meine Füße wie Feuer brannten, nahm ich einen schwachen Geruch wahr. Sofort hielt ich inne, und fast lief Fusai in mich hinein. Ich schnupperte, um herauszufinden, woher der Geruch kam. Es roch einfach wunderbar, und der Duft weckte Erinnerungen von vor langer Zeit, ein Gemisch aus Nelken und Zimt.
»Fusai, riechst du das?«
Sie hielt die Nase in die Luft und begann mich zu überholen. Wir folgten der Duftspur, bis wir einen Baum erreichten. Ich arbeitete mich durch bis zu seinem Stamm – kaum konnte ich es glauben, nach so vielen Jahren! Das hatte ich nun wirklich komplett vergessen, obwohl wir als Kinder die Rinde dieses Baumes als höchst kostbar betrachtet hatten. Wir nannten ihn »das Herz des Dschungels« oder »den König der Bäume«.
Aron stellte sich hinter mich und schnitt mit einem Buschmesser ein Stück von der Rinde ab. Darunter wurde reines weißes Holz sichtbar, das schnell braun wurde. Der wunderbare Duft umgab uns, und ich atmete tief ein. Wie gut das roch, die reine Labsal für meinen müden Geist! Aron gab mir ein Stück von der Rinde und betonte, dass wir weitermussten.
Ich betrachtete dieses wunderbare Gewächs noch einmal sehnsüchtig. Dann nahm ich das kleine Stück Rinde in die Hand und reihte mich wieder in unseren Trupp ein. Inzwischen sah man uns allen die Nervosität und den Zeitdruck an, wie wir da über unebenes Terrain stolperten, über Wurzeln, Bäume, Äste, Steine, Kletterpflanzen und morastigen Grund. Ich spürte, wie mir die Rinde in die Handflächen schnitt, atmete den Duft des Holzes ein, das so vertraut nach meiner Kindheit roch.
Meine Gedanken begannen zu wandern; langsam machte sich mein Geist von meinem Körper unabhängig, ein Phänomen, das ich schon als Kind kannte. Erinnerungen an die vergangenen Monate beherrschten meine Gedanken und verdrängten schließlich die Schmerzen und die Erschöpfung. Ich durchlebte bestimmte Ereignisse von neuem, drehte und wendete sie zu unterschiedlichen Ergebnissen, vermischte die Realität mit meiner Phantasie.
Stille umgab uns, ein jeder konzentrierte sich auf den Wettlauf gegen die Zeit. Nur das schwere Atmen und die
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