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Ruf Des Dschungels

Ruf Des Dschungels

Titel: Ruf Des Dschungels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kuegler
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ich zurück nach Indonesien, sitze im Flugzeug und blicke auf die Landschaft. Wir sind im Landeanflug auf Bali. Ich spüre in mir eine Leere, die ich nicht erklären kann.
    Seit meinem Besuch bei den Fayu und der Rückkehr nach Deutschland im letzten Herbst bin ich durch ein Wechselbad der Gefühle gegangen. Was wird mich in den nächsten Tagen erwarten? Von neuem bin ich auf der Suche, doch diesmal nicht nach meiner Vergangenheit, sondern nach der Wahrheit. Ich bin auf der Suche nach Zeugen, die mir etwas über die dunkle Seite der Insel West-Papua erzählen, einer Insel, die für mich bislang das Paradies auf Erden war. War dieses Paradies tatsächlich nur eine einzige Illusion?
    Ich will es herausfinden, will es selbst sehen, hören und spüren; all das, was ich bis jetzt nur von anderen gehört habe oder in Berichten und Artikeln las. Und so habe ich Jons Angebot angenommen, ihn nach West-Papua zu begleiten – ins Herz der Freiheitsbewegung.
    Ich spüre einen Ruck, als die Maschine auf der Landebahn aufsetzt und allmählich zum Stehen kommt. Eine halbe Stunde später habe ich die Passkontrolle hinter mir, mein Gepäck vom Band geholt und gehe hinaus. Ich höre, wie jemand meinen Namen ruft. Als ich mich umdrehe, sehe ich Jon, der lächelnd auf mich zukommt und mich umarmt. Es ist schön, ihn wiederzusehen. Er nimmt meinen Koffer, und wir gehen zu seinem Wagen hinüber.
    Kurz darauf sitzen wir in einem einheimischen Restaurant, und Jon bringt mich auf den aktuellen Stand.
    Ich beobachte ihn beim Sprechen, die Begeisterung und die Liebe für sein Land sind mit jedem Wort zu spüren. Er hat sie im Blut, er macht sie mit jedem Wort hörbar, mit jeder Geste sichtbar. Trotz unserer unterschiedlichen Herkunft schlagen unsere Herzen für dieselbe Sache, und das verbindet uns.
    Es ist bereits später Abend, als Jon mir Genaueres von einer Studentendemonstration in Abepura, jener Stadt im Nordosten der Insel, erzählt. Anfangs verlief alles sehr friedlich, doch dann warf jemand einen Stein auf einen Polizisten, und daraufhin brach Gewalt aus. Das Militär begann in die Menge zu schießen. Drei Polizisten und ein Soldat wurden getötet, mehrere Studenten verletzt.
    Noch immer ist der genaue Ablauf der Ereignisse unklar, die Berichte der Polizei und der Studenten widersprechen sich. Kurz nachdem die Studentenwohnheime durchsucht und zum Teil zerstört worden waren, nahm die Polizei mehrere Studenten fest, einige kamen dabei ums Leben, die restlichen konnten sich rechtzeitig verstecken. Bestürzung überkommt mich, als ich das höre.
    »Du weißt ja, Sabine«, sagt Jon, »die Sache spottet jeder Beschreibung. Sie haben über 100 000 , wenn nicht mehr, von unseren Leuten getötet, und kein Mensch verliert auch nur ein Wort darüber. Nun sterben vier Männer aus ihren Reihen, und schon werden wir als Wilde gebrandmarkt und bis aufs Blut gejagt.«
    »Ja, ich weiß«, sage ich entmutigt. Der Wert menschlichen Lebens wird oft genug von der Hautfarbe bestimmt.
    Jon berichtet weiter, dass sich einige der studentischen Anführer im Dschungel versteckt halten. Er möchte sie außer Landes schleusen. Sie werden polizeilich gesucht, und ihre Chance, die Zeit im Gefängnis zu überleben, falls sie verhaftet werden, ist denkbar gering. Wir sprechen die einzelnen Möglichkeiten durch, doch unser Budget ist nicht gerade üppig, und wir haben daher kaum Spielraum.
    Als ich an diesem Abend im Bett liege, fühle ich mich unendlich hilflos und traurig. Ich vermisse meine Kinder und sehne mich danach, sie im Arm zu halten. Ich lausche dem Geräusch des Deckenventilators, der die schwüle, undurchdringliche Nachtluft ein wenig erträglicher macht, und frage mich, welche Rolle ich in dem Ganzen überhaupt spiele. Ich fühle mich hin- und hergerissen zwischen zwei Welten, der einen nicht ganz zugehörig wegen meiner Hautfarbe, der anderen emotional komplett fremd.
    Was treibt mich denn in diese Sache hinein, die im Grunde vollkommen aussichtslos scheint? Bin ich wirklich so töricht zu glauben, ich könne etwas bewegen?
    Manchmal fühle ich mich so einsam, dass ich nicht mehr weiß, wen ich um Rat oder Trost bitten soll, wem ich trauen kann oder wo ich meine Kraft noch herholen soll. Ich bin einfach nur müde, will bloß schlafen und die Last, die wie ein schwerer Stein auf meinem Herzen liegt, endlich loswerden. Doch dann überlege ich, was die Alternative ist. Ich könnte morgen aufstehen und alles einfach hinter mir lassen. Keine finanziellen

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