Ruf Des Dschungels
Kirikiri es ganz im Gegensatz zu den Fayu genossen, Begebenheiten aus ihrer Vergangenheit zu erzählen. Ich sah mich um und beobachtete die Kinder, die fast alle gesund und sorgenfrei um uns herumsprangen und sichtlich Spaß an der allgemeinen Heiterkeit hatten.
Kurz darauf kam ein Mann auf uns zu, ich schätzte ihn auf Ende dreißig. Er hatte es bisher alles andere als leicht im Leben gehabt, wie die Dorfbewohner Papa berichteten. Er war ohne Genitalien geboren und hatte deshalb nie eine Frau gefunden. Denn wozu heiraten, wenn man ohnehin keine Kinder bekommen kann? Anstatt also eine Familie um sich zu versammeln, hatte er sich voll und ganz und mit großem Erfolg der Wildschweinzucht gewidmet. Er war der Einzige, von dem wir wussten, dass er die Tiere nicht in die Freiheit des Dschungels entließ, sondern sich dauerhaft um sie kümmerte. Er hatte etwas ganz Besonderes an sich, und mir wurde schnell klar, dass er ungewöhnlich intelligent war.
Dennoch tat er mir irgendwie leid, und ich fragte mich, wie es ihm wohl erging in einer Gesellschaft, in der die Familie einen so hohen Stellenwert hat. Allerdings schien sein Handicap seinem Ansehen nicht zu schaden. Denn ich beobachtete, wie ihn die Fayu sofort umringten und hören wollten, was er zu erzählen hatte. Sie hingen ihm förmlich an den Lippen und nickten zustimmend zu seinen Worten, behandelten ihn überhaupt mit einem Respekt, wie ich es sonst nur gegenüber Häuptlingen beobachtet habe.
Das Wildschwein entsprach ganz Papas Vorstellungen – eine wohlgenährte, gesund wirkende Sau. Ich merkte, wie ich hungrig wurde, und mir lief das Wasser im Mund zusammen, während ich das Tier dabei beobachtete, wie es in seinem Pferch hin und her rannte. Das sollte ein köstliches Festmahl geben!
Mehrere Stunden später waren wir zurück in unserem Dorf, und ich saß mit den Frauen auf der Veranda der Schule. Vor uns flackerte ein Feuer, in dem Kwas vor sich hin garten.
Erschrocken sprang ich auf, als ich ein Flattern an meinem Arm spürte. Der jüngste Sohn von Häuptling Kologwoi stand neben mir und hielt einen dünnen Halm in der Hand, auf den ein Käfer gesteckt war. Ich nahm ihm den Halm ab und sah, dass der Junge dem Käfer das untere Gelenk eines der Beine abgetrennt und den Halm in das obere Gelenk geschoben hatte, um es so zu befestigen. Das arme Insekt schlug verzweifelt mit den Flügeln, um sich zu befreien, daher auch das Flattern an meinem Arm. Es kam mir grausam vor, dieses Tier so zu quälen, doch ich sah, dass einige der anderen Kinder es dem Häuptlingssohn gleichtaten. Als ich den Jungen fragte, was der Zweck dieser Aktion sei, erklärte er mir, dass das Surren der Flügel die Mücken abhalte. Außerdem entstand so ein leichter Wind, der bei der Hitze ein bisschen Kühlung verschaffte.
»Und was machst du, wenn der Käfer nicht mehr mit den Flügeln schlägt?«, fragte ich.
Ohne zu zögern, nahm er das Tier vom Halm, riss ihm auch die anderen Beine und Flügel aus und steckte es sich in den Mund.
Herrje, warum habe ich bloß gefragt?,
dachte ich entsetzt. Mir drehte sich schier der Magen um, als ich das Knirschen hörte, mit dem der lebende Ventilator in dem kleinen Mund zermalmt wurde. Als die Frauen und Kinder um mich herum meinen Gesichtsausdruck bemerkten, brachen sie in schallendes Gelächter aus.
»Oh Sabine, du bist ganz schön verweichlicht«, sangen sie in ihrer typischen Dreitonmelodie. »Du warst eindeutig zu lange weg«, neckten sie mich.
»Hast du vergessen, dass du als Kind diese Käfer auch gegessen hast?«, fragte Akaba.
»Na ja …«, begann ich unwillig, musste aber nicht weitersprechen, denn nun knirschte es rings um mich herum, da die Kinder alle ihren »Dschungel-Snack« genossen. Ich fragte mich, ob meine Kinder diese Käfer wohl auch essen würden – ich glaube es aber kaum.
Am späten Nachmittag waren die meisten der in der Nähe lebenden Fayu eingetroffen. Ich beschloss, ein paar Fotos von meinen Kindern zu zeigen. Sofort umringte mich eine Menschenmenge, alle wollten einen Blick darauf werfen. Begeistert reichten sie die Fotos weiter, und ein jeder erklärte dem Nebenstehenden, in welcher Beziehung er zu den Kindern stand.
Sogar Häuptling Kologwoi, der sich normalerweise von Menschenaufläufen fern hielt, kam zu uns herüber und wollte die Fotos sehen. Höflich machten die anderen Platz. Nachdem er die Gesichter meiner Kinder eingehend betrachtet hatte, nickte er anerkennend. Er versicherte mir, sie sähen gesund
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