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Ruf Des Dschungels

Ruf Des Dschungels

Titel: Ruf Des Dschungels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kuegler
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Hauses, das vor Regen und Sonne schützt, mag uns vollkommen logisch erscheinen, für die Fayu ist es viel zu aufwändig: Sie sind Jäger und Sammler, und für sie steht im Vordergrund, jederzeit den Ort wechseln zu können.
    Je länger wir den Fluss hinunterfuhren, desto mehr Hütten kamen in Sicht. Wegen des niedrigen Wasserpegels standen die Behausungen momentan auf festem Grund. Normalerweise schwillt der Fluss während der Regenzeit an, und die Hütten ragen nur dank ihrer langen Pfähle noch knapp aus dem Wasser. Ich war ein bisschen enttäuscht von dem Anblick, denn es sieht wesentlich eindrucksvoller aus, wenn das Land mit dunklem Wasser überflutet ist und die Hütten scheinbar direkt darüberschweben.
    Immer wenn wir an einer Hütte vorbeifuhren, kamen mehrere Leute heraus, um uns zu begrüßen, und immer hielten wir an, rieben die Stirn, berichteten uns gegenseitig Neuigkeiten und tauschten Nahrungsmittel gegen Angelhaken, Seife, Messer, Handtücher oder was sonst so gebraucht wurde. Jedes Mal, wenn wir jemandem begegneten, zu dem ich als Kind eine enge Beziehung hatte, fiel das Wiedersehen besonders herzlich aus. Dihida, Biya – die Mutter von Doriso-Bosa – und viele andere begrüßten mich überschwänglich.
    Es war faszinierend, wie jung Dihida, einer der Fayu, mit dem wir als Kinder viel Zeit verbracht hatten, im Vergleich zu den anderen noch immer aussah. Immerhin hatte er inzwischen ebenfalls erwachsene Kinder. Ich hatte einmal mit meiner Schwester Judith überlegt, ob es mir wohl möglich gewesen wäre, einen Mann vom Fayu-Stamm zu heiraten. Es gab nur zwei Jungen, die in Frage gekommen wären, einer von ihnen war Tuare, der andere Dihida. Zwar war ich in keinen von beiden verliebt gewesen, doch man heiratet bei den Fayu sowieso eher aus praktischen Gründen und nicht aus romantischer Liebe.
    Ein Kind kaut süßes Zuckerrohr
    Mit jedem vertrauten Gesicht durchströmte mich eine neue Welle von Glück. Sie waren ganz und gar meine Familie, die ich vor Jahren verlassen hatte und in die ich nun zurückgekehrt war. Wie sicher ich mich fühlte, wie beschützt und geliebt! Wenn ich sie mir so ansah, wollte ich nichts lieber, als für immer hier bleiben. Je mehr Zeit verging, desto klarer wurde mir, dass ich in diese Welt hier gehörte, dass ich diese Art zu leben voll und ganz verstand und mich darin geborgen fühlte.
    Mehrere Stunden später fuhren wir flussaufwärts zurück. Ich hörte die Vögel in den Bäumen zwitschern und sah sie über uns hinwegfliegen, Vögel jeder nur vorstellbaren Größe und Farbe. Papa saß lächelnd im Heck des Bootes und beobachtete seine Tochter, die beim Anblick jener seltenen Tiere begeistert aufschrie – und im Gegensatz dazu die Fayu, die dies mit Bemerkungen kommentierten, wie gut die Vögel schmeckten und wie man sie am besten zubereitete. Sie hatten sich immer schon über unsere Einstellung gegenüber Tieren amüsiert. Für sie waren Tiere ein Nahrungsmittel und nicht dazu da, bewundert zu werden.
    Während der Fahrt, als mir der Wind durchs Haar wehte und meinen erhitzten Körper ein wenig abkühlte, gab mir Fusai ein großes Stück Zuckerrohr. Ich musste lachen beim Gedanken daran, wie Mama uns oft die Leviten gelesen hatte, wenn meine Geschwister und ich zu viel Zuckerrohr in uns hineinstopften. Sie erklärte uns, dass unsere Zähne ganz schwarz werden und ausfallen würden, wenn wir weiterhin so viel von diesem süßen, dickhalmigen Gras äßen, das hier entlang der Flüsse wuchs.
    Mit den Zähnen riss ich die harte Außenhaut ab und saugte den süßen Saft heraus. Plötzlich bemerkte Papa uns und schimpfte mich in der Sprache der Fayu:
    »Oh, seht nur meine Tochter Sabine. Was gibt sie nur für ein schlechtes Beispiel ab. Sie isst etwas, das ihre Zähne schwarz macht, bis sie ausfallen, und alle machen es ihr nach. Wie sollen Klausu und Doriso den Fayu noch in die Augen sehen, wenn sie ihnen sagen, sie sollen kein Zuckerrohr essen, wo es doch sogar ihre eigene Tochter isst. Oh, was haben wir nur für ein schlechtes Kind.«
    Inzwischen lachten wirklich alle laut mit und amüsierten sich prächtig darüber, wie der farblose Mann seine farblose Tochter tadelte. Natürlich hielt es weder mich noch die anderen davon ab, weiterzuessen. Den Rest der Fahrt verbrachten die Fayu damit, Papa und mich nachzuahmen, und lachten jedes Mal lauter. Bei dem Lärm, den wir veranstalteten, waren wir sicher meilenweit zu hören. Ja, in solchen Momenten schien die ganze Welt im

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